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Sauberer Fliegen: Europa forscht für klimaneutralen Luftverkehr
Weiterhin mit gutem Gewissen ins Flugzeug steigen, das soll dank der angestrebten Klimaneutralität des Luftverkehrs bis 2050 Routine werden. Die Forschungen laufen auf Hochtouren.
10.2023 | Autor: Patrick Hoeveler | 7 Min. Lesezeit
Autor:
Patrick Hoeveler
ist freiberuflicher Luftfahrtjournalist und unter anderem für die FLUG REVUE tätig.
Bahnbrechende Technologien: Clean Aviation ist das führende Forschungs- und Innovationsprogramm der Europäischen Union zur Umgestaltung der Luftfahrt in Richtung einer nachhaltigen und klimaneutralen Zukunft. Es wird bahnbrechende neue Flugzeugtechnologien entwickeln, um den europäischen Green Deal und die Klimaneutralität bis 2050 zu unterstützen. Diese Technologien werden zu einer Netto-Treibhausgasreduzierung von mindestens 30 Prozent gegenüber dem Stand von 2020 führen. Das Programm stützt sich auf drei Schwerpunkte, wobei jeder Schwerpunkt auf der Demonstration der Energieeffizienz und der Emissionsreduzierung liegt. Clean Aviation soll mit 1,7 Milliarden Euro gefördert werden. Es ist eingebettet in das EU-Rahmenprogramm Horizon Europe.
Die Betankung ist abgeschlossen, die Crew des Mittelstrecken-Jets kann mit den Startvorbereitungen beginnen. Währenddessen rollt ein Turboprop-Airliner nach der Landung zu seinem Standplatz, ganz ohne das typisch laute Geräusch. Schließlich wird er von aus Brennstoffzellen gespeisten Elektromotoren angetrieben. Alltag auf einem Verkehrsflughafen im Jahr 2050, und ganz ohne den Ausstoß klimaschädlicher Emissionen. Geht es nach der Europäischen Union, könnte dies in den nächsten Jahrzehnten zur Realität werden, schließlich will man im Europäischen Green Deal bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr emittieren und so den ersten klimaneutralen Kontinent schaffen.
„Dies ist das ambitionierteste Gesetz überhaupt, das beschlossen wurde, um Klimaneutralität zu verankern. Hier sind die Europäische Kommission und die Europäische Union Vorreiter“, sagt Gunnar Klaus, Repräsentant Internationale Technologiekooperationen und Demonstratorprogramme bei der MTU Aero Engines. Doch bis zum Erreichen der ehrgeizigen Ziele ist es noch ein gutes Stück. Im Luftfahrtsektor soll das EU-Forschungsprogramm Clean Aviation die Entwicklung deutlich beschleunigen. Das Programm bringt 27 Gründungsmitglieder sowie weitere Partner aus Industrie, Wissenschaft und Forschung in einem Joint Undertaking zusammen und wird mit einer Summe von 1,7 Milliarden Euro gefördert.
Das 2021 ins Leben gerufene Vorhaben verfolgt im Wesentlichen das Ziel, Technologien bereitzustellen, damit ab 2035 Flugzeuge auf den Markt kommen können, deren Netto-Treibhausgas-Ausstoß mehr als 30 Prozent unter der jüngsten Flugzeuggeneration mit State-of-the-Art-Technologie Stand 2020 liegt. Im Unterschied zum Vorgänger-Programm Clean Sky 2 ist Clean Aviation nicht darauf ausgerichtet, primär evolutionäre Technologien voranzutreiben, sondern hier stehen neuartige Konzepte im Mittelpunkt, die im Hinblick auf Klimaneutralität einen Quantensprung versprechen.
Emissionsfreies Fliegen im Blick: SWITCH (Sustainable Water-Injecting Turbofan Comprising Hybrid-Electrics ) entwickelt Technologien für den hybrid-elektrischen Water-Enhanced Turbofan. Das Projekt hat zwei revolutionäre Technologien im Fokus, die kombiniert werden: das Water-Enhanced Turbofan-Konzept der MTU, kurz: WET, und hybrid-elektrische Antriebselemente. Ziel ist es, eine Reduktion des Kraftstoffverbrauchs und damit auch der CO2-Emissionen um jeweils 25 Prozent zu demonstrieren (im Vergleich zu derzeitigen Triebwerken für Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge). Die neuen Technologien sind auch für den Betrieb mit Sustainable Aviation Fuels (SAF) geeignet. Bewertet wird weiterhin die zukünftige Verwendung von Wasserstoff als Energieträger.
Drei Bereiche für grünes Fliegen
In seiner strategischen Forschungsagenda (Strategic Research and Innovation Agenda, SRIA) hat das Clean Aviation Joint Undertaking dazu drei Hauptsäulen definiert: Der erste Bereich konzentriert sich auf Regionalflugzeuge mit hybrid-elektrischen und komplett elektrischen Antrieben. Die zweite Säule bezieht sich auf die Auslegung von höchsteffizienten Kurz- und Mittelstreckenflugzeugen im Segment bis zu 200 Sitzplätze. Die Kombination von innovativen Designs mit extrem sparsamen und maximal integrierten Triebwerken soll hier zu drastischen Einsparungen beim Treibstoffverbrauch auf Gesamtsystemebene führen. Das dritte Segment umfasst so genannte „disruptive“ Technologien, die schwerpunktmäßig die Potentiale von flüssigem Wasserstoff als möglichen Energieträger in zukünftigen Luftfahrzeugen heben. „Dies geht klar in die Richtung von Zero-Emission-Antrieben“, erklärt Klaus. „Wir behandeln in Clean Aviation zum Teil Technologien, die wir ursprünglich in unserer Technologie-Roadmap 2040 oder für die Jahre danach geplant hatten.“ Die Europäische Kommission will aber diese Technologien mindestens eine Entwicklungsdekade vorziehen, so dass sie möglichst früh bewertet und zum Einsatz kommen können.
In zwei der drei Bereiche ist die MTU mit von der Partie. Das SWITCH-Projekt (Sustainable Water-Injecting Turbofan Comprising Hybrid-Electrics) in der zweiten Säule kombiniert unter der Konsortiumsführung des deutschen Unternehmens bewährte Technologie mit neuen Ansätzen. Als Basis dient der Getriebefan einschließlich der in Clean Sky 2 gewonnenen Erkenntnisse, die in die Optimierung von Verdichter und Turbine miteingeflossen sind. Er erhält gleich zwei Neuerungen: Das Water-Enhanced-Turbofan-Konzept der MTU (WET) sieht die Nutzung der Restwärme aus dem Abgasstrahl des Triebwerks vor, um sowohl den Treibstoffverbrauch als auch die CO2- und Stickoxid-Emissionen sowie das Entstehen von Kondensstreifen deutlich zu reduzieren. Gleichzeitig erweitern die Konsortialpartner das Triebwerk um einen elektro-hybriden Anteil, der zu mehr Effizienz führt.
„Wir sehen die Möglichkeit, mit diesem Konzept in Kombination mit einer entsprechend verbesserten Flugzeugzelle die angepeilte Marke von 30 Prozent Kraftstoffeinsparung zu erreichen. Darüber hinaus können wir die Klimawirkung deutlich reduzieren“, meint Klaus. „Diese Technologien sind definitiv disruptiv. Wenn man unsere bisherige Produktgeneration evolutionär weiterentwickelt, dann gehen wir davon aus, dass wir damit maximal zehn Prozent Kraftstoffeinsparung realisieren könnten“, ergänzt Christoph Niebling, Programmleiter Clean Aviation / SWITCH bei der MTU. Die Integration von WET und Hybrid-Elektrik in ein Antriebskonzept sei sehr viel komplexer. „Die große Herausforderung liegt im Timing. Clean Aviation hat den Anspruch, bis 2030 Technologiereife aufzuzeigen, um damit neue Produkte ab 2035 zu ermöglichen. Das ist ein hoher Anspruch, da wir mit der Technologie noch an der Basis unterwegs sind. Aber dafür ist das Potenzial sehr viel höher.“
Hybrid-elektrischer Water-Enhanced Turbofan: Bei SWITCH werden zwei Technologien miteinander kombiniert: Das Water-Enhanced Turbofan-Konzept der MTU, kurz: WET, und hybrid-elektrische Antriebselemente. Basis ist der Getriebefan von Pratt & Whitney.
Regionalflugzeug mit Brennstoffzelle
Im Bereich der dritten Clean-Aviation-Säule konzentriert sich die MTU auf die Verwendung einer Brennstoffzelle für den elektrischen Antrieb eines Regionalverkehrsflugzeugs im Bereich von 50 bis 70 Sitzen. Das Vorhaben profitiert dabei von einem gemeinsamen Projekt des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der MTU, ein entsprechendes Antriebssystem im Flug an einer Dornier 228 zu erproben. Im Rahmen von Clean Aviation soll das HEROPS genannte Projekt (Hydrogen-Electric Zero Emission Propulsion System) dann unter Beweis stellen, dass sich das bisher angestrebte 600-kW-System der Flying Fuel CellTM (FFC) auch für eine Anwendung im Multi-Megawatt-Bereich skalieren lässt. „Die Erprobung an der Dornier 228 läuft komplett parallel, wird aber in der Vorbereitung gute Erkenntnisse im Hinblick auf System- und Linienentwicklung liefern. Das Antriebssystem kann dann skaliert werden“, erklärt Klaus.
Der Zeitplan verläuft nahezu parallel zum SWITCH-Projekt. Die technologievorbereitende Phase 1 in Clean Aviation dauert bis 2025 und endet mit einer Bewertung durch ein Gutachtergremium, das die vielversprechendsten Technologien auswählt. Diese münden dann in die Demonstratorphase 2, um idealerweise bis 2030 als Gesamtsystem getestet zu werden. „Hier kommt man nur zum Zug, wenn nachgewiesen wird, dass die entwickelten Technologien reif sind und eine Chance zur Umsetzung haben“, so Klaus.
„Mit Clean Aviation brauchen wir uns auch international nicht zu verstecken“, betont der MTU-Technologe. Auf der anderen Seite des Atlantiks sucht die US-Industrie unter anderem im von der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA im Jahr 2010 ins Leben gerufenen CLEEN-Programm (Continuous Lower Energy, Emissions and Noise) weiter nach Wegen zu einem klimafreundlicheren Luftverkehr. Die ersten beiden Phasen beinhalteten 225 Millionen Dollar an Fördergeldern der Regierung für einen Zeitraum von zehn Jahren. Derzeit laufen die Vorbereitungen zur vierten Phase, die 2025 beginnen soll, und ebenfalls stark auf Produktanwendungen abzielt.
„Bei der Verbrennung von Wasserstoff entsteht kein Kohlendioxid, sondern Wasserdampf, und je nach eingesetzter Brennkammer weiterhin auch Stickoxid-Emissionen. Wasserstoff als Energieträger ist zwar CO2-neutral, aber klimaneutral ist er nur dann, wenn dieser Wasserdampf nicht in der unteren Stratosphäre freigesetzt wird und die Stickoxid-Emissionen dann tatsächlich auf null heruntergebracht werden. Und bei der Herstellung des Wasserstoffs muss natürlich grüner Strom eingesetzt werden. “
Kommissarischer Direktor des Instituts für Luftverkehr beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Weltweite Herausforderungen
Doch die weltweiten Herausforderungen sind nicht nur rein technologischer Natur. Die Nachfrage nach Flugreisen geht ja nicht zurück, ganz im Gegenteil: „Bis 2050 ist eine Verdreifachung des Luftverkehrsaufkommens gegenüber heute tatsächlich nicht unwahrscheinlich“, erklärt Dr.-Ing. Florian Linke, kommissarischer Direktor des Instituts für Luftverkehr beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Außerdem benötigen die neuen Technologien auch eine umfangreiche Infrastruktur. Allein Wasserstoff würde ganz neue Tanksysteme erfordern, da er auf rund minus 250 Grad Celsius herunter gekühlt werden muss. „Zurzeit gibt es überall Kerosinanlagen, und man muss an allen Flughäfen diese Wasserstoffinfrastruktur komplett neu aufbauen. Der Luftverkehr ist ein globales Phänomen. Selbst wenn ich hier in Deutschland eine Infrastruktur hätte, dann bräuchte ich am Zielflughafen für den Rückflug ebenfalls entsprechende Möglichkeiten, Wasserstoff zu vertanken. Das heißt, es muss weltweit ausgerollt werden, damit das Ganze funktioniert.“
Außerdem muss die Produktion des Wasserstoffs auf nachhaltige Weise erfolgen. Hier konkurriert der Luftverkehr mit anderen Verkehrszweigen und der Industrie. Nicht zu vergessen sind laut Linke auch die Nicht-CO2-Effekte des Flugverkehrs, wie das Entstehen von Kondensstreifen und weitere Emissionen: „Bei der Verbrennung von Wasserstoff entsteht kein Kohlendioxid, sondern Wasserdampf, und je nach eingesetzter Brennkammer weiterhin auch Stickoxid-Emissionen. Wasserstoff als Energieträger ist zwar CO2-neutral, aber klimaneutral ist er nur dann, wenn dieser Wasserdampf nicht in der unteren Stratosphäre freigesetzt wird und die Stickoxid-Emissionen dann tatsächlich auf null heruntergebracht werden. Und bei der Herstellung des Wasserstoffs muss natürlich grüner Strom eingesetzt werden.“ Letzterer ist eine wichtige Komponente für die Zukunft der Luftfahrt.
Neue Fluggeräte am Himmel
Auch elektrisch betriebene Unmanned Air Systems (UAS) bieten eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten – sie sollen in Zukunft den Straßenverkehr entlasten. Die Palette reicht vom schnellen Transport wichtiger Güter, etwa Blutkonserven und Medikamente, bis hin zu Paketen oder Lebensmitteln. Gemäß des DLR-Experten dürften diese neuen Player trotz ihrer womöglich rasant steigenden Verwendung dem Luftverkehr nicht in die Quere kommen: „Die Integration dieser Vehikel in den Luftraum wird sehr stark vorangetrieben und man ist hier auf einem guten Weg. Die Frage ist eher, gibt es wirklich einen Markt für alle diskutierten Anwendungsfälle.“ Außerdem muss speziell für Flugtaxis eine entsprechende Infrastruktur geschaffen werden. Aus energetischer Sicht ist diese Mission mit einem höheren Energieaufwand verbunden, was unter Umständen eine positive Auswirkung auf das Klima in Frage stellt. Hinzu kommen die hohen Sicherheitsstandards in der Luftfahrt, deren Einhaltung auch im autonomen Betrieb sichergestellt sein muss. „In diesen Bereichen gibt es noch Forschungsbedarf. Die Integration in den Luftraum ist da eher das kleinere Problem.“
Es gibt also viel zu tun; das Paket der Herausforderungen beim Luftverkehr ist immens, aber laut Linke nicht unlösbar. Nicht zuletzt dank Clean Aviation könnte also der Luftverkehr in einem Vierteljahrhundert ganz anders aussehen als heute. Rasante Entwicklungen sind in der Luftfahrt nicht unüblich: Wer hätte schließlich 1927, als Charles Lindbergh spektakulär den Atlantik überquerte, gedacht, dass keine 25 Jahre später Jet-Flugzeuge in einem Bruchteil der Zeit regelmäßig Tausende Reisende über den Ozean bringen?