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Wie Wasserstoff in den Flugzeugtank kommt

Nahezu emissionsfreies Fliegen mit Wasserstoff – damit die Vision Realität wird, muss neben der Entwicklung der Brennstoffzelle vor allem auch der Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur vorangetrieben werden.

05.2021 | Autor: Denis Dilba | 7 Min. Lesezeit

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Denis Dilba studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journalistenschule und gründete das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz. Er schreibt über verschiedenste Themen aus Technik und Wissenschaft.

Mit einer Höhe von knapp 150 Metern auf einer Grundfläche von 230 mal 230 Metern gehört die Cheops-Pyramide nicht umsonst zu den sieben Weltwundern der Antike. Knapp drei davon bräuchte man, um rund zehn Millionen Tonnen Kerosin zu lagern. In den Jahren vor der Corona-Pandemie entsprach das der Menge, die pro Jahr an deutschen Flughäfen getankt wurde. In einer fiktiven Zukunft, in der Flugzeugantriebe nur noch mit Wasserstoff betrieben werden, wären es gleich neun der monumentalen Bauwerke. Sehr wahrscheinlich würde sogar noch deutlich mehr Platz und Volumen benötigt, da solche Speicher doppelwandig und mit Vakuum im Zwischenraum ausgelegt sein sollten: Der Wasserstoff muss flüssig und damit bei minus 253 Grad Celsius gehalten werden. Die Lagerung von Flüssigwasserstoff ist aber nur eine Herausforderung. Der tiefkalte Treibstoff der Zukunft müsste auch noch zu den Flughäfen transportiert werden und dann in die Flugzeuge gelangen.

AEROREPORT-Serie: Wie Wasserstoff die Luftfahrt revolutioniert

„Der Wasserstoffbedarf der Luftfahrt wird anfangs noch klein sein und dann Schritt für Schritt steigen.“

Barnaby Law

Chief Engineer Flying Fuel Cell bei der MTU

„Glücklicherweise werden wir solche Mengen nicht über Nacht brauchen. Der Wasserstoffbedarf der Luftfahrt wird anfangs noch klein sein und dann Schritt für Schritt steigen“, sagt Barnaby Law, Chief Engineer Flying Fuel Cell bei der MTU Aero Engines. Und aus heutiger Sicht werde auch in 2050 nicht jedes Flugzeug mit flüssigem Wasserstoff abheben, so Law. Für Langstreckenflüge würden die Tanks einfach zu groß sein. Um Verkehrsflugzeuge mit klimafreundlichen Wasserstoffantrieben in die Luft zu bringen, ist der Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur aber mindestens ebenso wichtig, wie die Entwicklung der fliegenden Brennstoffzelle, der Kryotanks und der Integration beider Komponenten in ein Flugzeug. Denn: Auch ein wasserstoffbetriebenes Null-Emissionen-Flugzeug ist leider nutzlos, wenn es nicht betankt werden kann. Zwar rechnet die Branche erst ab 2035 mit den ersten Wasserstoffflugzeugen, der Aufbau der Infrastruktur ist aber bereits angelaufen.

„Zuallererst muss der Wasserstoff in ausreichender Menge produziert werden.“

Barnaby Law

Chief Engineer Flying Fuel Cell bei der MTU

Von blauem zu grünem Wasserstoff

„Zuallererst muss der Wasserstoff in ausreichender Menge produziert werden“, sagt Law. Idealerweise grün – denn nur wenn Wasserstoff per Elektrolyse mit CO2-freiem, „grünem“ Strom aus Windkraft, Photovoltaik oder anderen erneuerbaren Energien hergestellt wird, reduziert er auch insgesamt die CO2-Emissionen fast vollständig. „Grüner Wasserstoff ist natürlich das Ziel“, sagt der MTU-Experte, „aber zu Beginn nur erneuerbar produzierten Wasserstoff zuzulassen, geht leider an der globalen Entwicklung vorbei.“ Längst nicht alle Länder hätten gute Produktionsbedingungen für erneuerbaren Strom oder Geld für den Import von großen Mengen an grünem Wasserstoff, einige verfügen zudem über große Erdgasreserven. „Wenn diese Länder nicht mitmachen, weil es für sie billiger ist, weiter auf fossiles Kerosin zu setzen und parallel auch nicht weiter in den Aufbau einer Wasserstoffindustrie und die Logistikketten investieren, hat man zum einen viel CO2-Minderungspotenzial verschenkt und verfestigt in diesen Ländern zum anderen die Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen.“

Verschiedene Ansätze: Wie Wasserstoff zum Flughafen kommt


Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC)

Mit der LOHC-Technologie sollen herkömmliche Tanklaster zum Transport von Wasserstoff verwendet werden können. Das Gas wird hier chemisch an ein Spezial-Öl gebunden, welches weder entflammbar noch explosiv ist. In dem Öl gebunden kann der Wasserstoff problemlos lange in normalen Großtanks ohne Kühlung gelagert werden. Dort wo der Wasserstoff verwendet werden soll, wird er unter Energieeinsatz wieder aus dem Öl herausgelöst. Seine Speicherfähigkeit geben LOHC-Hersteller wie Hydrogenious Technologies mit 57 Kilogramm Wasserstoff pro 1.000 Liter LOHC an. Ein herkömmlicher Tanklaster mit 30- bis 40.000 Litern Zuladung kann so knapp doppelt so viel Wasserstoff transportieren wie mit einem modernen Drucktank.

Fraunhofer „Powerpaste“

Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM haben Wasserstoff hochkonzentriert in einer zähflüssigen Masse speichern können. Die sogenannte „Powerpaste“ auf Basis des Feststoffs Magnesiumhydrid kann in Form von Wasserstoff bis zu 2,3 Kilowattstunden Energie pro Kilogramm speichern – wie die LOHC-Technologie ein Vielfaches dessen, was Lithium-Ionen-Batterien erreichen. Vermengt man die Paste mit Wasser wird gasförmiger Wasserstoff freigesetzt. Wasserstoff kann so nicht nur einfacher transportiert werden, perspektivisch könnte er in dieser Form in einigen Anwendungen auch Batterien ersetzen.

Transport in Druck- und Kryotanks

Wasserstofflieferungen erfolgen heute meist gasförmig in Druckbehältern und per Lkw, teilweise auch flüssig in sogenannten Kryotanks. Zylinderförmige Gasflaschen werden dabei zu Bündeln in einem Schutzrahmen zusammengefasst und können bei einem Druck von 500 bar bis zu 1.100 Kilogramm Wasserstoff pro Lkw-Ladung fassen. Die Technik für Kryotanks, mit denen der Wasserstoff flüssig bei unter minus 253 Grad Celsius befördert wird, ist aufwändiger: Ähnlich wie eine Thermoskanne sind die Tanks zur besseren Isolation doppelwandig ausgeführt. Wegen der höheren Dichte im flüssigen Zustand passen in einen für Lkw ausgelegten Kryotank aber auch 4.000 Kilogramm Wasserstoff.

Wasserstoff per Pipeline

Wasserstoffpipelines bieten eine kontinuierliche Versorgung. Allerdings muss der erhöhte planerische, bauliche und damit finanzielle Aufwand gegenüber alternativen Transportmöglichkeiten berücksichtigt werden. Grundsätzlich rechnen sie sich eher dort, wo sehr große Mengen Wasserstoff über Distanzen von bis zu 200 Kilometern geleitet werden müssen. Flughäfen müssen zusätzlich den Aufbau und die Kosten einer Verflüssigungsanlage einkalkulieren, da Flugzeuge flüssigen Wasserstoff tanken werden und die Pipelines den Wasserstoff gasförmig transportieren. Weil bis zum Jahr 2050 selbst große Flughäfen nur überschaubare Mengen Wasserstoff benötigen, sind Pipelines nur in gemeinsamer Nutzung mit anderen industriellen Wasserstoffabnehmern sinnvoll.

In Ammoniak gebunden ans Ziel

Die chemische Verbindung Ammoniak besteht aus einem Stickstoff- und drei Wasserstoffatomen, ist viel einfacher zu verflüssigen als Wasserstoff und kann daher auch viel einfacher gespeichert und transportiert werden. Die Idee liegt daher nahe, Wasserstoff zu produzieren, ihn direkt in Ammoniak umzuwandeln, den Stoff dann mit bestehender Infrastruktur und Technik zu den Wasserstoffverbrauchern zu bringen, wo die Verbindung wieder zurück in Wasserstoff gewandelt wird. Wie diese Transportmethode in der Praxis funktioniert und ob sie wirtschaftlich sein kann, wird unter anderem in dem Wasserstoff-Leitprojekt TransHyDE der Bundesregierung erforscht.


Laws Meinung nach sollte man daher anfangs auch sogenannten blauen Wasserstoff für den Einsatz im Flugverkehr in Betracht ziehen. Dabei handelt es sich um „grauen“ Wasserstoff, der aus herkömmlichem Erdgas produziert wird, bei dem aber die in der Produktion entstandenen CO2-Emissionen gespeichert werden und nicht in die Atmosphäre gelangen. Bei der Speicherung werde auch von „Carbon Capture and Storage“, kurz CCS, gesprochen, erklärt Law. Für eine Übergangsphase hin zu 100 Prozent grünem Wasserstoff halte er diese Lösung für akzeptabel und sinnvoll: „Im Vergleich zu fossilem Kerosin gelangt mit blauem Wasserstoff weniger CO2 direkt in die Atmosphäre, wo es deutlich schwieriger zu kontrollieren ist, als konzentriert in einem Speicher am Boden.“ Zudem werde der Anteil an blauem Wasserstoff mittel- bis langfristig stark zurückgehen, da grüner Wasserstoff mit steigender Produktion immer günstiger werde. Auch gibt es sehr interessante weitere „blaue Alternativen“ wie zum Beispiel die Wasserstoffgewinnung durch Methan (Erdgas) Pyrolyse, bei der der Kohlenstoff als Feststoff abfällt und nicht als gasförmiges CO2.

Flughäfen benötigen Wasserstoff in flüssiger Form

Einer aktuellen McKinsey-Studie zufolge kann grüner Wasserstoff in einigen Regionen der Welt sogar schon ab dem Jahr 2030 zu Preisen hergestellt werden, die konkurrenzfähig zu grauem und blauem Wasserstoff sind. Entscheidend für den Preis von grünem Wasserstoff sind in erster Linie die Bedingungen am Produktionsstandort: „Viel Wind und viel Sonne lasten die Elektrolyseure besser aus und tragen daher zu einer besseren Wirtschaftlichkeit bei“, erläutert Dr. Valentin Batteiger, Leiter Alternative Kraftstoffe beim Münchner Luftfahrt-Forschungsinstitut Bauhaus Luftfahrt. Wie dann die Logistikkette aussehe, über die der Wasserstoff zu den Flughäfen gelange, hänge wiederum von den lokalen Gegebenheiten des jeweiligen Flughafens ab. Beim Flughafen Frankfurt beispielsweise werde sehr wahrscheinlich Flüssigwasserstoff mit dem Binnenschiff zum nächstliegenden Main-Hafen transportiert und in der Anfangsphase bis 2050 von dort aus per Lastwagen zum Flughafen gefahren, schildert Batteiger. Später, bei steigendem Wasserstoffbedarf, werde sich dann sehr wahrscheinlich auch eine Flüssigwasserstoff-Pipeline rechnen, sagt MTU-Experte Law. Grundsätzlich müssten sich die Logistikketten seiner Einschätzung nach aber nicht wesentlich ändern. Andernorts biete der Transport über die Schiene eine attraktive Alternative.

Unabhängig von der Art des Transportmittels wird der Wasserstoff aber in der Regel in tiefgekühlter flüssiger Form in Kryotanks zu den Flughäfen geliefert – zum einen da der Wasserstoff dort flüssig benötigt wird, zum anderen weil gasförmiger Wasserstoff ein zu großes Volumen einnimmt. Für den Lkw-Transport von Wasserstoffgas unter Hochdruck würden etwa mindestens zehn Mal mehr Lkw benötigt werden. „Die Wasserstoff-Verflüssigungsanlage steht in der Regel direkt am Standort der Wasserstofferzeugung, da sie einen großen Durchsatz benötigt, um wirtschaftlich zu arbeiten und dort mit günstigem erneuerbarem Strom betrieben werden kann.“ Beim Beispiel des Flughafens Frankfurt wird dann entweder direkt am Main-Hafen oder auf dem Flughafengelände selbst ein großer Flüssigwasserstofftank stehen. „Wo solche Zwischenlager entstehen und wie groß sie sind, hängt von vielen Faktoren ab“, sagt Batteiger, „oft wird aber die verfügbare Fläche auf den Flughäfen die Entscheidung vorgeben.“ Wie etwa auch am Flughafen Hamburg, wo Jan Eike Blohme-Hardegen, stellvertretender Leiter Abteilung Umwelt, bereits ein Wasserstofflager für die Zeit nach 2040 plant: „Von der ersten Idee bis zur Fertigstellung ist das durchaus ein üblicher Zeitraum.“

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Mit höherem Wasserstoffverbrauch schneller zur Wirtschaftlichkeit

Deutschlandweit befassen sich daher schon heute alle Flughäfen mit dem Thema Wasserstoff. „Mit einem im Vergleich zum aktuellen Kerosin-Tank um den Faktor drei, eher vier, größeren Wasserstofftank stoßen wir auf unserer Fläche an die Grenze des Machbaren“, resümiert Blohme-Hardegen. Daher sucht er nach Alternativen, zum Beispiel in Form einer Pipeline: „Wir streben eine Einbindung an das Wasserstoffversorgungsnetz an, das in den kommenden Jahrzehnten auch den Norden Hamburgs erschließen wird.“ So kann das Wasserstofflager am Flughafen Hamburg kleiner ausfallen, denn der Wasserstoff wird gasförmig zum Flughafen transportiert. Schon in den nächsten Jahren wolle man aber einen kleineren Demonstratortank mit Test-Verflüssigungsanlage aufbauen, kündigt der Umwelt-Experte an. Mit dem Boil-Off-Gas – der gasförmigen Phase, die sich durch die Erwärmung des Flüssigwasserstoffs in dem Tank bildet – will der Flughafen Hamburg einen Teil seiner Brennstoffzellen-Vorfeldfahrzeuge emissionsfrei betreiben.

Den Wasserstoffverbrauch am Flughafen so zu erhöhen, sei in jedem Fall sinnvoll, sagt MTU-Technologe Law. „Denn je mehr Wasserstoff verbraucht wird, desto schneller rechnen sich auch die Investitionen in die Infrastruktur.“ Es gäbe neben den Vorfeldfahrzeugen auch noch Taxi- und Mietwagenflotten sowie Busse, die zumindest zum Teil mit Wasserstoff betrieben werden könnten. Grundsätzlich müssen die Investitionen aber über den Verkauf von Wasserstoff amortisiert werden, sagt Law: „Wenn man mehr als 400 Kilogramm grünen Wasserstoff pro Tag verbraucht, lohnt sich sein Einsatz bereits.“ Damit ist Wasserstoff auch für kleinere Regionalflughäfen eine Perspektive. Die Abläufe bei der Flugzeugbetankung mit Wasserstoff dort wie auch auf großen Flughäfen würden sich kaum ändern, sagt Markus Bachmeier, Director Sales & Products beim Gase-Spezialisten Linde: „Lkw mit Kryotanks werden den Wasserstoff zu den Maschinen fahren. Ähnlich wie heute schon bei Wasserstoffautos wird dann ein Schlauch an den Tank gekuppelt.“ Das Betanken selbst laufe dann – je nach Flugzeuggröße – ähnlich schnell wie bei Kerosin ab.

„So käme man künftig emissionslos von München nach Dubai und zurück.“

Markus Bachmeier

Director Sales & Products beim Gase-Spezialisten Linde

Golfregion kann Keimzelle für den Wasserstoffflugverkehr sein

„Wichtig ist dabei, dass hier weltweit gleiche Standards für die Technik herrschen“, erklärt Bachmeier. Das ist eine Voraussetzung dafür, dass man die volle prognostizierte Reichweite des Brennstoffzellen-Flugzeuges von knapp 4.600 Kilometern nutzen und am Zielflughafen wieder für den Rückflug auftanken kann. So käme man künftig emissionslos von München nach Dubai und zurück, so der Linde-Experte. Windstarke oder sonnenreiche Standorte, wie dort in der Golfregion, sieht der Bauhaus-Luftfahrt-Forscher Batteiger als Keimzellen für einen Wasserstoffflugverkehr: „Wegen der idealen Bedingungen für Solaranlagen kann die Produktion von grünem Wasserstoff direkt neben dem Flughafen aufgebaut werden, was die Logistik günstig macht.“

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