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Mit der Digitalisierung hebt die Luftfahrt ab

Gerade für das Triebwerksbusiness birgt die Digitalisierung eine Vielzahl von Chancen – die MTU packt sie an.

04.2021 | Autor: Thorsten Rienth | 5 Min. Lesezeit

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Thorsten Rienth schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT. Seine technikjournalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und Raumfahrtbranche im Bahnverkehr und dem Transportwesen.

Herr Dr. Seidenfaden, was war der Moment in Ihrem Leben an dem Ihnen so richtig bewusst wurde: Die Digitalisierung ist „The Next Big Thing“?

Dr. Lutz Seidenfaden: Ein Schlüsselmoment war sicherlich mein erster Tag in Singapur, wohin ich einige Jahre vor meiner Zeit bei der MTU gewechselt hatte. „Apps“ waren damals in Europa etwas ganz Neues. Aber in diesem südostasiatischen Stadtstaat organisierten die Leute schon ihr komplettes Leben über die Applikationen auf dem Smartphone. Taxi, Banking, behördliche Services – praktisch der ganze Alltag wird digital organisiert.

AEROREPORT-Serie: Auf digitaler Mission

Jetzt sind Sie zurück in Deutschland und verantworten als Chief Information Officer (CIO) die Digitalisierung bei der MTU Aero Engines.

Seidenfaden: Eine unglaublich spannende Aufgabe! Es fasziniert mich ungemein, wenn die virtuelle Welt auf die physische trifft. Genau das passiert bei der MTU bei der Entwicklung und Produktion von Triebwerken. Es ist eine Riesenherausforderung für mich, die Digitalisierung in dieser High-Tech-Welt sichtbar zu machen.

Digitale Exzellenz trifft auf Hightech in der Luftfahrt

Die MTU Aero Engines steht für hochtechnologisierte Prozesse in Entwicklung und Fertigung, cloudbasierte Digital Maintenance Lösungen sowie für Simulationen und Supercomputer, mit Hilfe derer die zukünftige Luftfahrt emissionsfrei gestaltet werden soll. Als Hightech-Unternehmen hat die MTU die Weiterentwicklung der IT-Technologie und den Aufbau von einem internen Experten-Know-how zu allen Systemanforderungen stets im Blick.

Was die Arbeit dabei so spannend macht? Die MTU simuliert die Zukunft der Luftfahrt und verbindet so die virtuelle Welt mit der physischen. Auf dem Weg zur emissionsfreien Luftfahrt zeigt die MTU jeden Tag, wie die Prozesse und Produkte immer besser, schneller und effizienter werden und dabei gleichzeitig immer weniger Ressourcen verbrauchen. Die MTU bietet Hightech hautnah – werden Sie Teil dieser digitalen Bewegung und bewerben Sie sich jetzt als IT-Expert:in.

Wie wird sie sichtbar?

Seidenfaden: In der Vergangenheit stellte die IT vor allem eine Dienstleistung für die Infrastruktur dar. Wenn Bildschirme erneuert werden mussten, kümmerte sich die IT darum. Wenn Netzwerke bereitgestellt werden mussten, dann organisierte sie das. Viele papierbasierte Prozesse sind mittlerweile digitalisiert. Wir telefonieren über den Laptop. Wir arbeiten von unterschiedlichen Orten, gleichzeitig und mit verschiedenen Endgeräten an denselben Dokumenten. Parallel hat das Unternehmen enorm in Rechenpower investiert. Sie ist nötig, damit die IT zum Business Enabler des Unternehmens werden kann.

Was meinen Sie damit?

Seidenfaden: Begriffe wie Big Data, Künstliche Intelligenz oder Automatisierung sind in unserem Geschäft kein Selbstzweck: Big Data kommt für uns einem Fernglas in eine neue Welt gleich. Künstliche Intelligenz ist das Mittel, um aus dem, was sichtbar wird, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Und die neuen Möglichkeiten bei der Automatisierung nutzen wir, um aus alldem einen konkreten Mehrwert in unserem Fertigungsverbund zu schaffen.

Das müssen Sie genauer erklären.

Seidenfaden: An den Fertigungslinien fallen eine Vielzahl von Maschinendaten an. Diese Daten wollen wir sammeln, auswerten und in den Planungsprozess zurückschleusen: Indem wir zum Beispiel Muster und Abhängigkeiten erkennen, die sich womöglich erst Fertigungsschritte später negativ in der Bauteilqualität niederschlagen. Gelingt es uns, die Trends belastbar zu extrahieren, wäre den Fertigungsingenieur:innen eine fundierte Entscheidungsgrundlage zur frühen Reaktion an die Hand gegeben. Darüber hinaus zielen wir auf eine komplette Datentransparenz in der Supply Chain ab: Welcher Lieferant liefert zum Beispiel die beste Qualität am zuverlässigsten? Welche Bestellungen lösen wir in welchem Umfang zu welchem Zeitpunkt aus, weil wir die Bearbeitungszeiten unserer Maschinen verlässlich zurückrechnen können? Wie können wir den Forecast der Kundenabrufe dank neuer Tools noch verlässlicher prognostizieren? Können wir ungeplante Ausfälle in unserem Maschinenpark auf Basis der Maschinendaten vorhersagen und durch vorbeugende Instandhaltung vermeiden? Für die Antworten darauf ist die Digitalisierung der zentrale Hebel.


Dr. Lutz Seidenfaden studierte Wirtschaftsinformatik an der Georg-August-Universität Göttingen, an der er anschließend auch promovierte. Über 12 Jahre hatte er beim Automatisierungsspezialisten Festo verschiedene Führungspositionen inne, zuletzt als Leiter Information Management IT Services. Seit Juni 2020 ist Lutz Seidenfaden Senior Vice President Information Systems (CIO) bei der MTU Aero Engines.

Die MTU bietet individuelle Services in der Instandhaltung und Reparatur an. Das Geschäftsmodell beinhaltet auch ein integriertes Triebwerksleasing mit Asset-Management. Was bedeutet die Digitalisierungsstrategie für das MRO-Geschäft?

Seidenfaden: Tatsächlich sehen wir dort zurzeit ein großes Potenzial für ein digitales Business Enablement. Gerade sind wir zum Beispiel dabei, einen Statusreport für Triebwerke aufzubauen. Ähnlich einer Paketverfolgung kann die Airline künftig online abfragen, an welchem Maintenance-Schritt sich ihr Triebwerk gerade befindet, welche Arbeitsschritte noch anstehen und wann sie mit der Auslieferung rechnen kann. Das erleichtert die Planung ungemein! Im nächsten Schritt verbinden wir diesen Service intelligent mit anderen MTU-Services, beispielsweise unserem Angebot, ein Triebwerk zu leasen. Damit helfen wir unseren Kunden, die Reparaturzeiten mit einem Leasingtriebwerk zu überbrücken.

Triebwerksdaten aus dem Betrieb – Stichwort Engine Trend Monitoring – nutzen Sie ja schon heute umfangreich …

Seidenfaden: … was allerdings nicht bedeutet, dass wir den Service nicht verbessern könnten. Anhand von Big Data und „KI“ könnten wir ihn auf die nächste Ebene heben: weg vom einzelnen Triebwerk, hin zum intelligenten Flottenmanagement. Wenn der Flugverkehr brummt, ist die Verfügbarkeit der Flugzeuge die bestimmende Zielgröße. In Krisenzeiten würde die Kostenoptimierung über die gesamte Flotte im Mittelpunkt stehen. Je größer die Flotte, desto wichtiger wird die Unterstützung von Künstlicher Intelligenz – weil konventionelle Tools wegen der schieren Datenmengen schlicht an ihre Grenzen stoßen. Die Sicherheit der Daten gewährleisten wir dank State-of-the-Art IT-Architekturen.

Ganz gleich, ob OEM-Fertigungsgeschäft oder MRO-Instandhaltungsbusiness: Mehr Daten bedeuten nicht automatisch mehr Nutzen. Wie behält man den Überblick?

Seidenfaden: Indem man strukturiert an die Sache herangeht und sich nicht im Klein-Klein verheddert. In einer Art Basisversion funktioniert schon vieles über explorative Datenanalysen: Man lässt Algorithmen über Datenbestände laufen in der Hoffnung, dass der Computer Zusammenhänge findet, die der Mensch nicht erkennen würde. Wenn aber jemand wie die MTU jahrzehntelanges Know-how im Triebwerksbusiness hat, dann können wir diese Algorithmen ganz gezielt loslassen. Nichtsdestotrotz werfen unsere Ingenieur:innen darauf aber stets einen prüfenden Blick, um die Ergebnisse zu analysieren und zu verifizieren.

Ich bin überzeugt, dass uns die Kombination von in Algorithmen gegossenem Expertenwissen mit den Datenanalyse-Methoden erheblich weiterbringt – gerade auch in der klassischen Triebwerksentwicklung, etwa bei der Aerodynamik und der Strukturmechanik.

Haben Sie keine Angst, dass die Digitalisierung eines Tages das MTU-Kerngeschäft erübrigt?

Seidenfaden: Nein. Der Trend zum Fliegen ist intakt. Nach wie vor werden Airlines auch Triebwerke und die dazugehörigen Services nachfragen. Und es wird immer Menschen brauchen, die diese Triebwerke und Services weiterentwickeln und die Triebwerke instand halten. Insofern ergänzen die digitalen Services unser Kerngeschäft mit den physischen Triebwerken.

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