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DLR-Chefin Prof. Dr. Anke Kaysser-Pyzalla über die Luftfahrt von morgen
Die neue DLR-Chefin Prof. Dr. Anke Kaysser-Pyzalla spricht über die Chancen und Herausforderungen für die Luftfahrt von morgen und wie das große Ziel des emissionsfreien Fliegens erreicht werden kann.
04.2021 | 4 Min. Lesezeit
Frau Prof. Dr. Kaysser-Pyzalla, Sie sind seit dem 1. Oktober 2020 Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Was haben Sie sich als Chefin dieser renommierten Forschungsinstitution vorgenommen?
Prof. Dr. Kaysser-Pyzalla: Das DLR arbeitet an Lösungen für die großen Herausforderungen in unseren Forschungsschwerpunkten Luftfahrt, Raumfahrt, Energie und Verkehr und dem Querschnittsthema Sicherheit. Dazu betreiben wir Grundlagenforschung und anwendungsnahe Forschung bis hin zur Innovation mit unseren Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft.
Anke Kaysser-Pyzalla hat in Bochum und Darmstadt Maschinenbau und Mechanik studiert. Sie promovierte und habilitierte an der Ruhr-Universität Bochum. Nach Forschungstätigkeiten am Hahn-Meitner-Institut (HMI) und an der TU Berlin forschte und lehrte sie von 2003 bis 2005 als Universitätsprofessorin an der Technischen Universität Wien. 2005 wechselte sie als Wissenschaftliches Mitglied, Direktorin und Geschäftsführerin in die Leitung der Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH nach Düsseldorf. 2008 folgte die Berufung zur Wissenschaftlichen Geschäftsführerin der Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH, die unter ihrer Leitung aus der Fusion von HMI und BESSY entstand. 2017 wurde Anke Kaysser-Pyzalla zur Präsidentin der Technischen Universität Braunschweig gewählt – bevor der Senat des DLR sie im März 2020 einstimmig zur neuen Vorstandsvorsitzenden bestellte.
Zukünftig wollen wir die Synergien zwischen unseren Forschungsschwerpunkten auf der Basis der Kompetenzen unserer Institute und Einrichtungen noch konsequenter nutzen. Beispielsweise leisten mit dem Design und der Forschung zur großskaligen Herstellung synthetischer Kraftstoffe unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Energieforschung wichtige Beiträge für die Zukunft der Luftfahrt und des Verkehrs. Auch die Forschung zu Wasserstofftechnologien, von der Produktion über den Transport bis hin zur Nutzung, oder der Einsatz von KI-Methoden haben Bedeutung für alle unsere Forschungsschwerpunkte.
Durch die Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wirtschaft stellen wir sicher, dass unsere Forschung zu Innovationen führt. Das wollen wir noch sichtbarer machen, etwa im Rahmen von Leuchtturm- und Demonstrationsprojekten. Auch die systematische Förderung von Unternehmensgründungen haben wir uns vorgenommen. Das spiegelt sich auch in der neuen Vorstandsstruktur mit dem neuen Ressort „Innovation, Technologietransfer und Forschungsinfrastrukturen“ wider, das mein Kollege Prof. Dr.-Ing. Karsten Lemmer übernommen hat.
Der Klimaschutz ist ein zentrales Thema der Gegenwart. Das große Ziel der Luftfahrt lautet emissionsfreies Fliegen. Wie sehen Sie hier die Entwicklung?
Kaysser-Pyzalla: Die Luftfahrtforschung des DLR orientiert sich am EU Green Deal. Unser Ziel ist es, Lösungen für eine emissionsfreie Luftfahrt ab dem Jahr 2050 bereitzustellen. Dabei ist die Luftverkehrswirtschaft und -industrie ein wichtiger Partner für eine erfolgreiche Umsetzung. Neben den technologischen Herausforderungen für eine emissionsfreie Luftfahrt haben für uns insbesondere Fragen der Zertifizierung und Zulassung neuer Technologien, Änderungen in der Produktion und die Rolle der Zulieferungsindustrie große Bedeutung.
In diesem gesamten Prozess bietet uns die Digitalisierung neue Möglichkeiten für den Entwurf und die Optimierung des komplexen Gesamtsystems Luftverkehr. Dabei unterstützen wir die Industrie bei der Entwicklung der nächsten Generation von Flugzeugen.
Es gibt einige Ansätze, emissionsfreies Fliegen zu realisieren, darunter die Verbesserung der Fluggasturbine, Brennstoffzellen, der Einsatz von SAFs und Wasserstoff. Was hat für Sie das größte Potenzial?
Kaysser-Pyzalla: Der Weg zum klimaneutralen Luftverkehr erfordert parallele sowie disruptive Ansätze mit neuen Technologien. Kurzfristig hat die Weiterentwicklung bewährter Triebwerkskonzepte noch großes Potential für Treibstoffeinsparungen. Darüber hinaus können umweltfreundlichere Kraftstoffe beigemischt werden, später neue Energieträger, wie etwa Wasserstoff, zur Anwendung kommen. Auf der Kurzstrecke sehen wir hybridelektrisch angetriebene Zubringer- und Regionalflugzeuge auf Basis von Energiespeichern, wie Batterien oder Brennstoffzellen, als eine mittelfristige Entwicklung, um Reisen innerhalb von Ballungsgebieten oder Zubringer zum nächstgrößeren Flughafen zu ermöglichen. Auf der Mittel- und Langstrecke können es mittelfristig neue Fluggasturbinenkonzepte und thermodynamische Kreisprozesse sein, in Verbindung mit nachhaltigen Kraftstoffen. Langfristig ist hier auch die Wasserstoffdirektverbrennung auf Basis von grünem Wasserstoff eine vielversprechende Technologie. Um emissionsarmes Fliegen zu ermöglichen, brauchen wir über die Veränderung des Antriebssystems hinaus beispielsweise neue Integrationskonzepte in die zukünftigen Flugzeuge und die Optimierung der Flugführung.
„Eine wichtige Rolle werden Demonstratoren auf Gesamtflugzeugebene einnehmen, denn Forschungsergebnisse müssen praktisch erprobt werden.“
Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt
Das DLR ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt. Es betreibt Forschung und Entwicklung in Luftfahrt, Raumfahrt, Energie und Verkehr, Sicherheit und Digitalisierung. Das DLR Raumfahrtmanagement ist im Auftrag der Bundesregierung für die Planung und Umsetzung der deutschen Raumfahrtaktivitäten zuständig. Zwei DLR Projektträger betreuen Förderprogramme und unterstützen den Wissenstransfer:
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Rund 10.000 Mitarbeiter arbeiten am Hauptsitz Köln und 15 weiteren deutschen Standorten. Dazu gehören zwei eigene Flugbetriebe in Braunschweig und Oberpfaffenhofen bei München.
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Büros in Brüssel, Paris, Tokio und Washington, D. C. koordinieren die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern.
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54 DLR-Institute entwickeln in zahlreichen Projekten zur Zukunft der Luft- und Raumfahrt umweltverträgliche Technologien für Energieversorgung, Mobilität, Kommunikation und Sicherheit.
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Das DLR betreibt die größte zivile Flotte von Forschungsflugzeugen und –hubschraubern in Europa – von der A320ATRA bis zur Cessna 208B, darunter auch ein ausschließlich mit Brennstoffzellen angetriebenes Flugzeug.
- Zu den Aufgaben des DLR gehört auch die Koordination und Umsetzung der deutschen Raumfahrtaktivitäten, beispielsweise Beteiligungen an internationalen Missionen.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf, damit die Luftfahrtbranche ihre ehrgeizigen Ziele erreichen kann?
Kaysser-Pyzalla: Die noch geringe Technologiereife zukünftiger Anwendungen verlangt großen Forschungs- und Entwicklungsbedarf. Dieser benötigt eine kontinuierliche Förderung und Unterstützung. Zum Gelingen sind geeignete regulatorische Rahmenbedingungen wie auch eine enge Kooperation und der Wissensaustausch mit der Industrie notwendig. Eine wichtige Rolle werden Demonstratoren auf Gesamtflugzeugebene einnehmen, denn Forschungsergebnisse müssen praktisch erprobt werden. Ein aktuelles Beispiel ist die DLR-MTU-Kooperation Do228 wie auch die evolutionäre Weiterentwicklung des Geared Turbofans.
Welche Rolle spielen für Sie als Werkstoffexpertin neue Materialien in der Luftfahrt?
Kaysser-Pyzalla: Neue Materialien ermöglichen neue Funktionalitäten, etwa in Batterien und Brennstoffzellen, aber auch z.B. für keimresistente Oberflächen in der Kabine. Leichtbau bleibt ein Thema: Interessant ist etwa der Ersatz metallischer Legierungen durch oxidische Keramiken etwa in Turbinengehäusen. Auch um das große Potential neuer Fertigungsverfahren, wie des 3D-Drucks, für komplexe Bauteile nutzen zu können, bedarf es der spezifischen Entwicklungen von Werkstoffen und optimierter Prozessführungen. Langfristiges Ziel ist es, auch spröde Werkstoffe, wie etwa Titanaluminide, drucken zu können sowie auch Bauteile mit hohen Anforderungen an die Lebensdauer und Kriechbeständigkeit herzustellen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat Sie als ‚erfahrene Wissenschaftsmanagerin‘ bezeichnet. Inwieweit helfen Ihnen Ihre bisherigen beruflichen Stationen bei Ihrer Arbeit für das DLR?
Kaysser-Pyzalla: Meine ingenieurswissenschaftliche Ausbildung hilft mir dabei, die Herausforderungen und Lösungsansätze in den DLR-Forschungsschwerpunkten zu verstehen. Sie ist auch Basis dafür, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen Ansätze bewerten zu können und gemeinsam die aussichtsreichsten und spannendsten Lösungen und Projekte voranzutreiben. Das eigene Erleben von Forschungsprozessen hat mir den Wert von Kreativität, aber auch Strategie und Durchhaltevermögen klar gemacht. Aus der Leitungserfahrung von Projekten und großen Organisationen habe ich die Bedeutung von Strukturen, Prozessen, Partizipation und Teamgeist mitgenommen. All das bringe ich ein in die Führung einer der größten ingenieurwissenschaftlichen Forschungsorganisation Europas.