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Lufttaxis als Game Changer für die städtische Mobilität?

Dr. Kay Plötner vom Think Tank Bauhaus Luftfahrt analysiert Potenziale und Herausforderungen für den nachhaltigen Einsatz von Lufttaxis, insbesondere elektrischen Senkrechtstartern.

12.2023 | Autor: Nicole Geffert | 5 Min. Lesezeit

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Nicole Geffert arbeitet seit 1999 als freie Journalistin mit den Themen Forschung und Wissenschaft, Geld und Steuern, Ausbildung und Beruf.

Weniger Staus und CO₂-Emissionen, eine bessere Mobilität in Städten und Ballungszentren: Die Erwartungen an Urban Air Mobility (UAM) sind hoch. Weltweit arbeiten Unternehmen und Start-ups an Lufttaxis, insbesondere an elektrisch angetriebenen Senkrechtstartern (electric vertical take-off and landing; eVTOL) und hoffen auf das ganz große Geschäft mit den kleinen Fluggeräten. Doch wie realistisch ist diese Vision? Dr. Kay Plötner, Leiter Ökonomie und Verkehr sowie Experte für Urban & Regional Air Mobility beim Think Tank Bauhaus Luftfahrt, spricht über die Perspektiven der neuartigen Flieger.

Dr. Kay Plötner, Leiter Ökonomie und Verkehr beim Think Tank Bauhaus Luftfahrt.

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Bevor Dr. Kay Plötner 2010 zum Bauhaus Luftfahrt wechselte, studierte und promovierte er an der Technischen Universität München im Bereich der Luft- und Raumfahrttechnik. Seit 2016 leitet er beim Bauhaus Luftfahrt das Team Ökonomie und Verkehr, das zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten des Lufttransportsystems vordenkt und wesentliche Treiber auf sozioökonomischer, politischer und ökologischer Ebene identifiziert. Das Team forscht an vielversprechenden Integrationslösungen für Metropol- und ländliche Regionen weltweit unter Berücksichtigung von Ökonomie, Ökologie, Gerechtigkeit sowie Stadtplanung.

AEROREPORT: Herr Dr. Plötner, was ist Urban Air Mobility?

Kay Plötner: Urban Air Mobility ist ein Transportsystem, das Passagiere, Fracht und Dienstleistungen in und zwischen Städten befördert. In diesem Konzept spielen neben kleineren Drohnen auch Lufttaxis, insbesondere eVTOL-Fluggeräte, eine zentrale Rolle. Dank neuer Technologien wie elektrische Antriebe und verbesserte Batteriekapazitäten können dabei Senkrechtstarter-Systeme eingesetzt werden. Diese Fluggeräte erfüllen ähnliche Funktionen wie Hubschrauber, sind aber leiser und kostengünstiger zu betreiben.

AEROREPORT: Das Bauhaus Luftfahrt sieht in Urban Air Mobility keinen Ersatz für herkömmliche Verkehrsmittel, sondern eine Ergänzung. Sie kommen zu dem Schluss, dass Lufttaxis kein Game Changer für die städtische Mobilität sein werden. Warum nicht?

Plötner: Der potenzielle Zeitvorteil von Urban Air Mobility ist im Vergleich zum Autofahren nur in stark überlasteten Gebieten gegeben, wenn die Anfahrten und Zugänge zu den Vertiports kurz sind. Vertiports sind spezielle Start- und Landeplätze für eVTOL-Fluggeräte, die eine erhebliche Bodeninfrastruktur erfordern und erst noch geplant, finanziert und aufgebaut werden müssen. Um einen Durchsatz von etwa 100 Passagieren pro Stunde zu erreichen, ist ein Vertiport in der Größe eines Fußballfeldes erforderlich. Die Anzahl und Größe der Vertiports werden jedoch durch Platzmangel – der Raum in den Städten ist knapp und wertvoll – sowie Lärmschutz und Sicherheitsanforderungen stark begrenzt.

AEROREPORT: Könnten Lufttaxis den Verkehr auf den Straßen spürbar entlasten?

Plötner: Es ist unwahrscheinlich, dass die Lufttaxis das Stauproblem in den Städten lösen werden, da nur eine ausgewählte Gruppe von Menschen sich regelmäßige Flüge mit einem Flugtaxi wird leisten können. eVTOL-Fluggeräte sind auf kleine Nutzlasten beschränkt, typischerweise gibt es vier bis sechs Sitzplätze. Die zu erwartenden hohen Transportkosten muss sich eine geringe Anzahl von Passagieren teilen. Die meisten UAM-Studien schätzen, dass die Flugtaxis langfristig einen Marktanteil von 1 Prozent erreichen werden – vor allem wegen der hohen Investitionskosten für Fluggeräte und Infrastruktur sowie für das Personal. Die ersten Anwendungen werden voraussichtlich noch nicht autonom, sondern mit Pilot:innen fliegen. Infolge des geringen Marktanteils wird Urban Air Mobility daher keinen nennenswerten positiven Effekt bei der Reduzierung von Staus haben.

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AEROREPORT: Gibt es einen ökologischen Vorteil von Urban Air Mobility?

Plötner: CO₂-Emissionen können nur reduziert werden, wenn Flüge mit Lufttaxis die Fahrten mit Autos mit Verbrennungsmotor ersetzen. Da das senkrechte Starten und Landen die energieintensivste Art des Fliegens ist, sind der elektrische Energieverbrauch und die erforderlichen Batteriemassen im Vergleich zu Elektroautos deutlich höher. In den meisten Szenarien sind Lufttaxis daher weniger ressourceneffizient als andere elektrisch betriebene Verkehrsträger. Ein weiterer Aspekt sind die Lärmemissionen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass höhere Lärmpegel die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen in den Städten beeinträchtigen können. Insbesondere in europäischen Städten wird ein höherer Lärmpegel nicht akzeptabel sein.

„CenterAirStation“: The concept of this downtown airport aims to significantly increase the capacity of the air transportation system by shifting existing and future city connections from conventional airports to this type of urban air hub. CenterAirStation was developed by Bauhaus Luftfahrt together with students from the Glasgow School of Art.

AEROREPORT: Einige eVTOL-Hersteller rollen bereits Richtung Startbahn. Volocopter beispielsweise will 2024 während der Olympischen Spiele in Paris Passagiere fliegen. Wie schätzen Sie die Entwicklung ein?

Plötner: Das wird sicher eine Attraktion für die Besucher. Wir gehen jedoch davon aus, dass eVTOL-Fluggeräte ein Nischenprodukt bleiben werden. Dennoch bieten sich für Hersteller und Betreiber attraktive Geschäftsmodelle. Selbst wenn Lufttaxis eine Nische besetzen, könnte die Produktion von eVTOL-Fluggeräten die aktuelle Hubschrauberproduktion übertreffen, wenn sie geringere Gesamtkosten oder Lärmemissionen als diese aufweisen. Die Luftfahrt ist immer dann besonders stark, wenn es darum geht, große Distanzen zu überwinden oder wenn es am Boden keine Möglichkeiten gibt, schnell und flexibel von A nach B zu kommen. Lufttaxis könnten vor allem in Regionen, die durch geografische Besonderheiten wie Inseln oder Berge gekennzeichnet sind, den Menschen einen Mehrwert bieten, indem sie die Reisezeit verkürzt und die Erreichbarkeit erhöht.

AEROREPORT: Wie kann Urban Air Mobility die Lebensqualität der Menschen außerdem verbessern?

Plötner: Lufttaxis können für bestimmte Nutzergruppen wie Touristen oder Geschäftsreisende attraktiv sein, die bereit sind, für ein besonderes Erlebnis oder einen Zeitvorteil zu zahlen. Schließlich könnten eVTOL-Fluggeräte als Zubringer für Langstreckenflüge dienen, indem sie Passagiere schnell und bequem zu den Flughäfen und Drehkreuzen befördern oder von dort abholen. Auch wenn es um Notarzteinsätze oder den Transport von lebensrettendem Equipment oder Medikamenten geht, kann Urban Air Mobility einen Mehrwert bieten. Neben der gewerblichen Personenbeförderung gibt es zudem eine Vielzahl weiterer Anwendungen für Fracht- und Unterstützungsdienste.

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Das Bauhaus Luftfahrt wurde als eingetragener Verein 2005 gegründet. Es ist eine gemeinnützige Forschungseinrichtung und entstand in Anlehnung an das historische Bauhaus in Dessau. Mitglieder sind vier namhafte Unternehmen der Luftfahrtindustrie – Airbus, IABG, Liebherr-Aerospace und die MTU Aero Engines – sowie das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. 2020 wurde das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) als förderndes Mitglied aufgenommen.

AEROREPORT: Sie sagen, um die urbane Luftmobilität zu einem zukunftsfähigen Konzept zu machen, müssen soziale, ökologische und wirtschaftlich nachhaltige Anwendungen identifiziert werden. Was bedeutet das?

Plötner: Das bedeutet, dass sie die Bedürfnisse und Erwartungen der Fluggäste und der Gesellschaft berücksichtigen, die Umweltauswirkungen minimieren und rentabel sein müssen. Mit Blick auf Europa sollten Anwendungen in kokreativen Prozessen – also in Zusammenarbeit verschiedener Interessengruppen – entworfen werden. Ziel ist, ein gerechtes und nachhaltiges Verkehrssystem zu schaffen, das ländliche Gebiete und Großstädte besser verbindet. Um dieses Ziel zu erreichen, sollte die Forschung und Entwicklung sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie, Politik und Gesellschaft weiter vorangetrieben werden.

„Die Luftfahrt ist im Wandel, aber eines steht fest: In 20 Jahren werden wir am Himmel neuartige Flugzeuge und Fluggeräte mit verschiedenen Technologien erleben können.“

Dr. Kay Plötner

Leiter Ökonomie und Verkehr beim Think Tank Bauhaus Luftfahrt

AEROREPORT: Wie sieht es mit weiteren Konzepten aus, beispielsweise mit Regional Air Mobility?

Plötner: Bei der Urban Air Mobility reden wir über Distanzen von 20, 30 oder 50 Kilometern, vielleicht mehr. Dies führt uns schnell in den Bereich der Regional Air Mobility, bei der auch Flugzeuge mit Antriebskonzepten wie Batterien und Wasserstoff eingesetzt werden können. Diese Flugzeuge könnten bis zu 19 Passagiere und mehr transportieren und die vorhandene Infrastruktur regionaler Flughäfen nutzen. Der Aufbau einer solchen neuen regionalen Luftverkehrsmobilität erfordert jedoch mehr als die Entwicklung, Zertifizierung und Produktion neuer Flugzeuge. Eine wichtige Voraussetzung ist beispielsweise eine Infrastruktur für Ladestationen und Wasserstoff. Die Luftfahrt ist im Wandel, aber eines steht fest: In 20 Jahren werden wir am Himmel neuartige Flugzeuge und Fluggeräte mit verschiedenen Technologien erleben können.

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