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High Altitude Platform: Fliegen jenseits der Tropopause

Fluggeräte, die nicht nur besonders leicht sind, sondern auch eine enorme Spannweite haben, sollen eines Tages Veränderungen auf der Erdoberfläche dokumentieren und die Telekommunikation verbessern.

01.2024 | Autorin: Monika Weiner | 8 Min. Lesezeit

Autorin:
Monika Weiner arbeitet seit 1985 als Wissenschaftsjournalistin. Die Diplomgeologin interessiert sich vor allem für neue Entwicklungen in Forschung und Technik sowie deren gesellschaftliche Auswirkungen.

„Erst durch die Fortschritte in der Solar- und Batterietechnik ist es möglich geworden, solar-elektrische Fluggeräte zu konzipieren, die genügend Energie generieren und auch speichern können, um in sehr hohe Schichten der Atmosphäre aufzusteigen und dort auch mehrere Tage und Nächte zu fliegen.“

Florian Nikodem

Leiter des Projekts Hochfliegende Plattform HAP alpha beim DLR

Zum Testen des Flügels benötigt das Team am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) viel Platz: Die Leichtbaukonstruktion ist 27 Meter lang – das entspricht ungefähr der Spannweite eines Airbus A320. Die Prüfung der Biegefestigkeit wird daher in der riesigen Halle am DLR-Standort Stade durchgeführt: Mit Hilfe eines eigens konstruierten Gestells können die Ingenieur:innen den 35 Kilogramm leichten Flügel auf eine Höhe von mehreren Metern anheben, um die Kräfte zu simulieren, die während eines Fluges auftreten.

Tatsächlich werden die Flügel im Gleitflug nach oben gedrückt. Weil sich diese nach oben gerichteten Auftriebskräfte am Boden nur schwer simulieren lassen, wird der Flügel für die Bestimmung der Biegefestigkeit kopfüber – Oberseite nach unten – im Gestell befestigt und mit Gewichten belastet. Die nach unten gerichtete Gravitationskraft simuliert so die Auftriebskräfte. Etwa zwei Meter biegen sich die Flügelspitzen unter der Last nach unten. Die Ingenieur:innen bestimmen den genauen Wert mit Hilfe eines Lasers und prüfen anschließend, ob die Belastung möglicherweise Mikrorisse verursacht hat, die während eines Fluges fatale Folgen hätten.

Der Flügel soll in zwei Jahren die erste HAP des DLR in die Lüfte heben – die Abkürzung HAP steht für High Altitude Plattform. Die Konstruktionsskizze, die das Design-Team erstellt hat, erinnert auf den ersten Blick an einen Segelflieger. Diese Ähnlichkeit ist kein Zufall, denn die hochfliegende Plattform soll ein extrem energieeffizienter Super-Segler werden, der selbst in einer Höhe von 20 Kilometern noch Auftrieb erzeugen kann. Angetrieben wird die HAP übrigens von zwei Elektromotoren mit je 2,5 Kilowatt Spitzenleistung. Den Strom, den sie benötigen, liefern Solarzellen auf der Oberseite des Flügels.

Spannweite eines Narrowbodys: Erst mit dem darunter stehenden Konstruktionsteam werden die gewaltigen Dimensionen deutlich: Die Leichtbaukonstruktion ist 27 Meter lang – das entspricht ungefähr der Spannweite eines Airbus A320.

„Erst durch die Fortschritte in der Solar- und Batterietechnik ist es möglich geworden, solar-elektrische Fluggeräte zu konzipieren, die genügend Energie generieren und auch speichern können, um in sehr hohe Schichten der Atmosphäre aufzusteigen und dort auch mehrere Tage und Nächte zu fliegen“, erklärt Florian Nikodem, Leiter des Projekts HAP-alpha beim DLR. „Die Stratosphäre, die in ungefähr 18 Kilometern Höhe, jenseits des zivilen Luftraums, beginnt, ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich: Es gibt keine Wolken und kein Wetter, die Luft ist meist ruhig, klar und dünn – hier herrschen ideale Bedingungen für die Erdbeobachtung. Allerdings ist der Bau einer hochfliegenden Plattform, die dorthin aufsteigen und auch sicher zum Boden zurückkehren kann, eine enorme technische Herausforderung.“

Das Erfolgsgeheimnis: hohe Stabilität

Bevor die HAP-alpha an den Start gehen kann, muss sie eine Vielzahl von Tests durchlaufen. Die Prüfung der Biegefestigkeit, die beim DLR in Stade durchgeführt wird, ist nur einer davon. Im nächsten Jahr steht ein Standschwingversuch mit dem gesamten Flugzeug auf dem Programm. Mit Hilfe der Messungen wollen die Ingenieur:innen die analytischen Modelle, die für das Design genutzt wurden, absichern.

Die größte Gefahr für die ultraleichte Konstruktion – die HAP-alpha soll nur 136 Kilogramm auf die Waage bringen – sind starke Böen oder gar Stürme. In erster Linie ist die Plattform darauf ausgelegt, durch die dünne Luft der Stratosphäre zu gleiten, wo es kaum Turbulenzen gibt. „Gefährlich ist jedoch der Flug dorthin und der Rückweg zur Erdoberfläche“, erklärt Nikodem. „Auf- und Abstieg dauern viele Stunden, während derer die Plattform dem Wettergeschehen ausgeliefert ist. Obwohl man selbstverständlich alle verfügbaren Vorhersagen einholt und nur fliegt, wenn die Bedingungen optimal sind, müssen wir damit rechnen, dass sich die Wetterverhältnisse während des Fluges ändern.“ Die Stabilität der Konstruktion sei daher entscheidend für den Erfolg einer Mission.

Prototyp „Helios“: Fahren Sie über das Bild für eine größere Ansicht

Prototyp „Helios“: Die solarenergie-betriebene HAP wurde von der NASA entwickelt und erreichte 2001 mit 29.413 Metern den Weltrekord für maximale Höhe. Für 40 Minuten hielt sich die Plattform in der Luft.

Das Rennen der Stratosphären-Gleiter: immer länger, immer höher

Mehr als ein Dutzend Mal sind hochfliegende Plattformen bereits in die Stratosphäre vorgedrungen. Den Langzeitrekord für eine erfolgreiche Mission hält bisher Airbus: 26 Tage dauerte der Flug der Zephyr-S. Das unbemannte solarelektrisch getriebene Flugzeug war am 6. August 2018 in Arizona gestartet und kehrte am Ende der Mission sicher zur Erde zurück. Der Rekord wurde 2022 durch eines der Nachfolgemodelle, die Zephyr-8, zwar gebrochen – die Plattform kreiste volle 64 Tage in der Stratosphäre –, sie stürzte am Ende aber ab. Den Weltrekord für maximale Höhe erreichte die NASA 2001 mit der solarenergiebetriebenen HAP Helios. Der riesige mit Solarzellen bestückte Flügel, der 580 Kilogramm wog und von 14 Elektromotoren angetrieben wurde, stieg bis auf 29.413 Meter.

Angetrieben wird das Rennen um immer längere und höhere Flüge von der Vision, eines Tages mit einem Netzwerk hochfliegender Plattformen die Erdbeobachtung zu revolutionieren. Bisher sind Geodäten, Glaziologen, Klimaforscherinnen und Katastrophenschützer auf Flugzeug- oder satellitengestützte Messungen angewiesen, wenn sie beispielsweise nach Lecks in Pipelines suchen, wenn sie herausfinden wollen, wie sich Wetterfronten oder Waldbrände ausbreiten, oder wie dick das Eis auf Schifffahrtswegen ist, wie schnell Gletscher kalben, wie sich die Luftqualität in bestimmten Regionen der Erde verändert oder wohin Tierherden ziehen.

Doch die Beobachtungszeit ist begrenzt: Flugzeuge können nicht länger als ein paar Stunden über einem Ort kreisen und die meisten Satelliten, die in der Fernerkundung eingesetzt werden, sind nicht geostationär, das heißt, sie bewegen sich relativ zur Erde und können daher ihren Fokus nur begrenzte Zeit auf einen bestimmten Ort richten. Detaillierte Langzeitmessungen sind daher schwer zu bekommen. Unbemannte solarelektrische Flugzeuge könnten diese Lücke füllen: Sie sind in der Lage, tage- und wochenlang über einer Region zu kreisen, Daten zu sammeln und zur Erde zu schicken.

Auch für die Telekommunikation eröffnen High Altitude Plattformen neue Möglichkeiten. Durch ihre enorme Flughöhe sind HAPs in der Lage, Funkkontakt zu großen Gebieten herzustellen. Der NASA Sunglider beispielsweise, ein von zehn Elektromotoren angetriebenes Solarflugzeug, das einem gigantischen Flügel gleicht, kann eine Fläche von 200 Quadratkilometer abdecken. Damit sind HAPs eine interessante Alternative zur satellitengestützten Telekommunikation.

Langzeitrekord des Airbus-Modells: Bisher ist Zephyr die einzige HAP mit festem Flügel, die nachweislich Tag und Nacht in der Stratosphäre überleben kann. Ihr Rekord liegt bei 64 Tagen.

Hoch fliegen im Dienst der Forschung

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe unterschiedlicher High Altitude Plattformen, die von verschiedenen Forschungs- und Industrieunternehmen entwickelt wurden. „Diese sehen wir allersding nicht als Konkurrenz“, erläutert Nikodem. „Unser Ziel ist es, Wissen zu generieren. Als deutsche Forschungseinrichtung ist es unsere Aufgabe, die Industrie zu unterstützen. Daher steht für uns die Entwicklung einer Versuchsplattform im Vordergrund, mit deren Hilfe das DLR, aber auch Unternehmen neue Technologien erarbeiten und erproben können - beispielsweise neue Antriebstechniken, Sensoren oder Messelektronik sowie Telekommunikation.“

Tatsächlich muss für die HAP-Mission des DLR noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit geleistet werden: Es gilt, Werkstoffe zu finden, die ultraleicht und doch stabil sind: kohlefaserverstärkte Verbundwerkstoffe beispielsweise für die Rippen und Holme beziehungsweise Folien zum Bespannen der Flügel, die starker UV-Strahlung standhalten. Um auf 20 Kilometer aufzusteigen und mehrere Tage in der Luft bleiben zu können, braucht man außerdem extrem leistungsfähige Akkus. Diese müssen nicht nur ausreichend Strom für den Start bereitstellen, sondern auch während der Sonnenstunden, wenn Licht auf die Solarzellen fällt, genügend Strom für den Nachtflug speichern. Wegen der extremen Temperaturschwankungen in der Stratosphäre müssen die Batterien außerdem gut isoliert werden: Bei Tagestemperaturen von bis zu 50 Grad Celsius im Flugzeug droht während der Sonnenstunden Überhitzung und nachts, bei bis zu minus 90 Grad Umgebungstemperatur, der Kältetod.

Ab 2024 startet die Integration zu einem fertigen Flugzeug, anschließend soll die HAP-alpha vom Testgelände des DLR in Cochstedt aus zu ihrem Jungfernflug starten. Da das Flugzeug aus Gewichtsgründen kein Fahrwerk, sondern nur Landekufen bekommt, wollen es die Ingenieur:innen mit Hilfe eines Zugfahrzeugs auf Startgeschwindigkeit beschleunigen. Die Plattform soll dabei auf einem eigens konstruierten Anhängergestell liegen. Die Steuerung übernimmt ein erfahrener Pilot in der Bodenstation, seine Befehle werden per Funk an die Plattform übermittelt. Maximal 500 Meter Flughöhe sind bei diesem ersten Flug geplant. Für die Landung müssen die Propeller angehalten und quer gestellt werden. Ein besonders heikler Moment, da der Pilot ab diesem Zeitpunkt nicht mehr durchstarten kann. „Unser Ziel ist es nicht, Rekorde zu brechen, sondern Daten zu sammeln und die Technik zu erproben“, betont der Projektleiter. Die Informationen, die ein Flugschreiber vom Start bis zur Landung aufzeichnet, will das Team anschließend auswerten und nutzen, um Details zu optimieren.

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR): Das DLR ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland für Luft- und Raumfahrt. Die 55 Institute und Einrichtungen betreiben Forschung und Entwicklung in ­Luftfahrt, Raumfahrt, Energie und Verkehr, Sicherheit und Digitalisierung.

In den darauffolgenden Jahren sind weitere Erprobungsflüge geplant, bevor die HAP-alpha 2027 erstmals in die Stratosphäre aufsteigen soll. Für diesen Flug wird die Plattform mit zusätzlichen Solarzellen bestückt: Während der Prototyp nur mit einem Quadratmeter Photovoltaik ausgerüstet ist, soll die „zweite Ausbaustufe“ bereits 12 Quadratmeter Gallium-Arsenid-Zellen auf die Flügel bekommen. Mit der Energie, die so erzeugt wird, soll die Plattform eine Nutzlast von fünf Kilogramm bis auf 20 Kilometer Höhe transportieren können. „Das klingt nach wenig, reicht aber, um ein miniaturisiertes Radar oder ein hochauflösendes Kamerasystem an Bord unterzubringen. Beide Systeme werden ebenfalls im Projekt entwickelt“, erklärt Nikodem: „Für zukünftige Industriepartner ist das Projekt eine einzigartige Chance, Sensoren und Technologien für die Erdbeobachtung und Telekommunikation unter Realbedingungen zu testen.“

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