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Gemeinsame Geometriesprache für effizientere Triebwerksentwicklung
Dr. Anna Wawrzinek arbeitet an einer gemeinsamen Software für die unterschiedlichen Disziplinen der Triebwerksentwicklung.
06.2020 | Autor: Thorsten Rienth | 3 Min. Lesezeit
Autor:
Thorsten Rienth
schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT. Seine technikjournalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und Raumfahrtbranche im Bahnverkehr und dem Transportwesen.
Es ist ein wahrlich großer Bogen, den Dr. Anna Wawrzinek da mit dem Verweis auf den Entwurf des deutschen Grundgesetzes schlägt. „Der Staat ist um des Menschen Willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.“ Mit der digitalen Transformation verhalte es sich ähnlich. „Die ist kein Selbstzweck, sondern soll die Kollegen dabei unterstützen, den Fokus aufs Wesentliche zu legen.“ Zum Beispiel auf die Entwicklung von neuen Luftverkehrsantrieben.
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Aus bis zu 30.000 Einzelteilen fügt sich ein Triebwerk je nach Modell zusammen. Im Zusammenspiel entsteht ein komplexes System aus Aktion, Reaktion und wechselseitigen Einflüssen. Kaum weniger komplex ist die Art und Weise, wie Triebwerke entwickelt werden – nämlich in einem austarierten Zusammenspiel aus Konstruktion, Aerodynamik und Strukturmechanik.
Mittlerweile ist die technologische Entwicklung so weit fortgeschritten, dass spürbare Verbesserungen nur noch unter Betrachtung des gesamten Triebwerks möglich sind, zumindest, wenn die Wirtschaftlichkeit gegeben sein soll. Doch die einzelnen Disziplinen, die ihre (Weiter-)Entwicklungen bislang meist separat betrachteten, haben über die Jahre eigene digitale Entwicklungssysteme aufgebaut. „Vereinfacht könnte man sagen: Sie arbeiten mit unterschiedlichen Koordinatensystemen“, erklärt Wawrzinek.
„Ich arbeite daran, die unterschiedlichen Methoden in eine Art übergreifendes Koordinatensystem zu übersetzen.“
An dieser Stelle beginnt eine Problematik, die die 33-Jährige als eine von rund 20 Digital Transformation Managern bei der MTU Aero Engines auflösen möchte: „Ich arbeite daran, die unterschiedlichen Methoden in eine Art übergreifendes Koordinatensystem zu übersetzen.“ Die Folge wäre eine effizientere und schnellere Triebwerks- und Triebwerksbauteilentwicklung – schließlich entfiele die Zeit fürs Umrechnen zwischen den verschiedenen Koordinatensystemen.
Nach dem Abitur war die Polin zum Mathematik-Studium an die Freie Universität Berlin gegangen. Ihre Promotion schrieb sie über eine noch junge Forschungsrichtung namens Isogeometrische Analyse und deren Transformation in Industrieanwendungen. Mathematiker versuchen bei der Isogeometrischen Analyse, die geometrische Beschreibung von Design- und Analysemodell zu vereinigen, indem sie sogenannte NURBS (Non-Uniform Rational B-Splines) als gemeinsame Basis für die Formbeschreibung einführen. Dies bietet sich an, weil NURBS bereits den Standard bei den meisten CAD-Systemen (Computer Aided Design) darstellen.
Im Grunde beruht die Notwendigkeit einer umfassenden Lösung auf einer historischen Entwicklung. Als Computer in den 1960er Jahren langsam Einzug in die Industrie erhielten, hätte sich das digitale Handwerkszeug entlang der Disziplingrenzen auseinander entwickelt: „Die Designer arbeiteten mit glatten Oberflächen weiter, was ja auch nahe liegt. Aber die Analytiker mussten mit feineren dreidimensionalen Elementen, wie Punktewolken oder Dreiecke arbeiten, um die Bauteile digital weiterverarbeiten zu können.“
Langfristig betrachtet ist das gemeinsame MTU-Entwicklungs-Koordinatensystem für Konstruktion, Aerodynamik und Strukturmechanik dennoch eher ein Zwischenziel. Der nächste Schritt wäre eine verlustfreie Vernetzung und Integration der bestehenden Systeme für alle wesentlich an einem Triebwerk beteiligten Partner. „Dann könnte man auch softwareseitig das abbilden, was mit der immer stärkeren Gesamtbetrachtung des Triebwerks auf Entwicklungsebene ohnehin der Trend ist.“