Die Geburt des Jumbos
„Wenn Sie es bauen, kaufe ich es.“ – „Wenn Sie es kaufen, bauen wir es.“ Diese kurze Konversation zwischen dem Pan-Am-Gründer Juan Trippe und dem Boeing-Boss Bill Allen stand Mitte der 1960er Jahre am Beginn der Großraumflugzeug-Ära. Zu dieser Zeit wurden Langstrecken mit Boeing 707 und Douglas DC-8 bedient, vierstrahligen Jets mit einem Rumpfdurchmesser, der die Installation von sechs Sitzen pro Reihe – jeweils drei rechts und links des Gangs – gestattete.
Angesichts des rasant wachsenden Passagieraufkommens war es nur eine Frage der Zeit, bis diese Muster zu klein sein würden. Douglas reagierte auf die Wünsche der Airlines nach einem größeren Flugzeug mit der Streckung der DC-8 zur „Super Sixties“-Baureihe. Boeing war dieser Weg aufgrund der zu geringen Bodenfreiheit der 707 versperrt, weshalb man sich Gedanken über einen von Grund auf neuen Entwurf machte. Juan Trippe war das nur recht, denn der charismatische und eigenwillige Pan-Am-Chef war wie so oft auf der Suche nach einer revolutionären Lösung und hatte nicht viel übrig für nur geringfügig größere Passagierkapazitäten.
Dass der Jumbo, wie Boeings 747 schon bald genannt wurde, seinen charakteristischen „Buckel“ erhielt, lag nicht zuletzt an der Mitte/Ende der sechziger Jahre weit verbreiteten Auffassung, der Passagierluftverkehr werde schon bald vorwiegend mit Überschallflugzeugen wie der britisch-französischen Concorde oder der von Boeing geplanten 2707 abgewickelt. Ein unterschallschneller Entwurf musste daher auch die Möglichkeit zur Verwendung als Frachter bieten, und die 747 basierte sogar auf einem Militärtransporterkonzept, das in der Ausschreibung gegen die Mitte der 1960er Jahre von Lockheed entwickelte C-5 „Galaxy“ verloren hatte. Das 747-Cockpit wanderte ins „Obergeschoss“, was die Installation einer riesigen Bugklappe für Fracht gestattete.
Noch in einer weiteren Hinsicht spielte ein Militärtransporter eine wichtige Rolle als „Geburtshelfer“ der Großraum-Passagierflugzeuge (im Englischen „Widebody“ genannt beziehungsweise „Twin Aisle“ aufgrund der beiden Gänge): Für die C-5 „Galaxy“ hatten GE Aviation und Pratt & Whitney völlig neue Turbofan-Triebwerke mit hohem Nebenstromverhältnis entworfen. Daraus gingen später die zivilen Motoren CF6 und JT9D hervor, die mit ihrer Leistungsstärke den Bau des Jumbos und nachfolgender Großraumjets überhaupt erst ermöglichten.
Es müssen nicht immer vier Triebwerke sein
Dass bereits der erste Linienflug eines Pan-Am-Jumbos am 22. Januar 1970 von New York nach London mit eintägiger Verspätung startete, war symptomatisch für die Schwierigkeiten, mit denen der Pionier unter den Widebody-Passagierjets zu kämpfen hatte. Viel schwerwiegender als die anfängliche Unzuverlässigkeit der JT9D-Triebwerke war jedoch die Ölkrise Anfang der siebziger Jahre und der nicht zu verleugnende Umstand, dass der Jumbo für viele Strecken schlicht zu groß war.
Allerdings taten sich auch die nahezu zeitgleich auf den Markt gekommenen etwas kleineren Widebodys der Konkurrenz schwer. Mitte der sechziger Jahre hatte der American-Airlines-Manager Frank Kolk in einem Strategiepapier die Anforderungen an ein künftiges Großraumflugzeug für aufkommensstarke Mittelstrecken festgelegt: Es sollte rund 300 Passagiere befördern können und über lediglich zwei Triebwerke verfügen. McDonnell Douglas und Lockheed entschieden sich allerdings, ihren neuen Jets drei Motoren zu verpassen. Im Abstand von knapp einem Jahr wurden die DC-10 am 5. August 1971 und die L-1011 „TriStar“ am 26. April 1972 in Dienst gestellt. Sie waren zunächst vorwiegend im US-Inlandsverkehr, später dann auch auf interkontinentalen Verbindungen zu finden. Dort lösten sie zunehmend die kleineren Single Aisle-Vierstrahler ab, die aufgrund ihrer niedrigeren Kapazität deutlich unwirtschaftlicher und zudem wegen ihrer Triebwerke mit geringerem Nebenstromverhältnis viel lauter waren.
Moderne Widebody-Flugzeuge

Boeing 787-8 Dreamliner Erstflug 2009, Länge: 56,7 Meter, Flügelspannweite/Breite: 60,1 Meter


Boeing 787-8 Dreamliner
Twin Aisle Widebody
210-250 Passagiere
ca. 220 Tonnen Abfluggewicht

Boeing 777-300Erstflug 1997, Länge: 73,8 Meter, Flügelspannweite/Breite: 60,9 Meter


Boeing 777-300
Twin Aisle Widebody
370-550 Passagiere
ca. 300 Tonnen Abfluggewicht

Boeing 747-8 Erstflug 2011, Länge: 76,3 Meter, Flügelspannweite/Breite: 68,5 Meter


Boeing 747-8
Twin Aisle Widebody,
teilweise zweistöckig
470-600 Passagiere
ca. 450 Tonnen Abfluggewicht

Airbus A380 Erstflug 2005, Länge: 72,7 Meter, Flügelspannweite/Breite: 79,8 Meter


Airbus A380
Twin Aisle Widebody, zweistöckig
540-850 Passagiere
ca. 575 Tonnen Abfluggewicht
Mit zwei Motoren über den Atlantik
Der zweistrahlige Flieger nach Kolks Vorstellungen wurde dann tatsächlich noch gebaut – allerdings nicht von einem der etablierten US-amerikanischen Hersteller, sondern von einem Newcomer auf der anderen Seite des Atlantiks. Die A300, im Rahmen des Airbus-Konsortiums federführend von Frankreich und Deutschland mit britischer, später auch spanischer Beteiligung entwickelt, hob am 28. Oktober 1972 erstmals ab und wurde von Mai 1974 an im Liniendienst eingesetzt.
Wohl niemand vermochte damals zu erahnen, welche grundlegenden Veränderungen in der Branche das Auftauchen dieses europäischen Jets nach sich ziehen würde: Zum einen sahen sich Boeing & Co. mit einem Herausforderer konfrontiert, der innerhalb von rund vier Jahrzehnten die Hälfte des Weltmarktes für sich erobern konnte und entscheidend dazu beitrug, dass sich Lockheed vom zivilen Markt zurückziehen und McDonnell Douglas das Heil in einer Fusion mit Boeing suchen musste. Zum anderen gestatteten es die von der A300 abgeleitete A310 und noch viel mehr die etwa zeitgleich auf den Markt gekommene Boeing 767, Langstreckenflüge mit zweistrahligen Flugzeugen durchzuführen und dabei auch Nonstop-Verbindungen abseits der großen Luftverkehrs-Drehkreuze anzubieten.
Die fünf größten Drehkreuze der Welt (Passagierverkehr)
Dubai, VAE (DXB)
71.548.061
London, GB (LHR)
68.310.701
Hong Kong, HK (HKG)
64.767.139
Paris, FR (CDG)
58.780.759
Amsterdam, NL (AMS)
55.537.414
Internationaler Passagierverkehr Die Zahl der Passagiere umfasst alle zu- und aussteigenden Fluggäste am jeweiligen Flughafen für den gesamten Zeitraum von April 2014 bis April 2015.
Die fünf größten Drehkreuze der Welt (Frachtverkehr, in Tonnen)
Hong Kong, HK (HKG)
360.000
Incheon, KR (ICN)
212.097
Dubai, VAE (DXB)
204.075
Shanghai, CN (PVG)
202.865
Taipeh, TW (TPE)
174.013
Internationaler Frachtverkehr Das Cargo-Volumen umfasst die gesamte be- und entladene Fracht und Luftpost am jeweiligen Flughafen für April 2015 in Tonnen.
Quelle: Airports Council International, Juli 2015
Es war vor allem der erheblich gestiegenen Zuverlässigkeit der modernen Turbofan-Antriebe zu verdanken, dass die Flugzeiten, die zweimotorige Jets bei einem Triebwerksausfall vom nächstgelegenen Ausweichflughafen entfernt sein durften, immer weiter erhöht wurden. Nachdem Mitte der achtziger Jahre erstmals Transatlantikflüge mit A310 und B767 durchgeführt worden waren, sind heute – je nach Flugzeugtyp – ETOPS-Zulassungen („Extended-range Twin-engine Operational Performance Standards”) von fünf Stunden und mehr möglich, so dass praktisch jede Flugverbindung auf dem Globus ohne Umwege auch von Jets mit nur zwei Triebwerken bedient werden kann.
Widebody-Flugzeuge seit den 1960er Jahren bis heute
Größer und weiter
Die Antriebe wurden aber nicht nur zuverlässiger, sondern auch immer leistungsfähiger, so dass sich die Flugzeuggröße, ab der zwei Motoren nicht mehr ausreichend waren, immer weiter nach oben verschob. Auch hinsichtlich der Reichweite brauchten sich die Zweistrahler bald nicht mehr zu verstecken. Bereits Anfang der neunziger Jahre hatte Airbus der vierstrahligen A340, die immerhin theoretisch bis zu 440 Passagiere befördern durfte, die gleich große, aber nur zweimotorige A330 zur Seite gestellt, die sich dann tatsächlich deutlich besser verkaufte. Ein Riesenerfolg war auch die Mitte der Neunziger erstmals ausgelieferte und ebenfalls zweistrahlige Boeing „Triple Seven“, für die GE Aviation, Pratt & Whitney sowie Rolls-Royce-Triebwerke entwickelten, deren Abmessungen und Leistungsdaten in bis dahin unbekannte Größenordnungen vorstießen.
Besonders augenfällig wurde diese Entwicklung, als Anfang des Jahrtausends neue Versionen von A340 und Boeing 777 auf den Markt kamen, die hinsichtlich der Reichweite und Passagierkapazität eindeutig als Nachfolger früher 747-Modelle konzipiert waren. Die zweistrahligen 777-200LR und -300ER erbrachten nicht nur dieselben oder sogar bessere Leistungen als A340-500 und -600, sie taten dies auch zu niedrigeren Kosten. Airbus zog die Konsequenzen in Form der A350 XWB und setzt seither unterhalb der A380 ebenfalls nur noch auf zweistrahlige Muster.
Wohin geht die Reise?
Angesichts der immer effizienter werdenden Twins – die Sitzkilometerkosten der aktuell in der Entwicklung stehenden Modelle A350-1000 und Boeing 777-9 werden voraussichtlich mit denen der A380 mithalten können – kann es nicht ausbleiben, dass über die Notwendigkeit von Flugzeugen wie der A380 oder der nur geringfügig kleineren aktuellen Jumbo-Version 747-8 diskutiert wird. „Die Verkäufe von Großraumflugzeugen mit zwei Etagen entwickeln sich nicht so gut wie vor zehn Jahren prognostiziert“, stellt Dr. Marc Le Dilosquer, Leiter Marktanalyse bei MTU Aero Engines, fest. In der Tat halten sich die Fluggesellschaften gegenwärtig mit neuen Bestellungen zurück. Dies mag allerdings auch mit einem veränderten Marktumfeld zusammenhängen: Das rasante Wachstum der Airlines vom Persischen Golf hat dazu geführt, dass sich Verkehrsströme verlagert haben; wer von Europa nach Ozeanien reist, fliegt nicht mehr automatisch über Hongkong, Singapur oder Bangkok, nutzt nicht mehr zwangsläufig Qantas Airways, Singapore Airlines, Thai Airways International und Cathay Pacific, die auf diesen Routen viele Jahrzehnte dominierten. Wenn Airbus allerdings die A380 mit neuen Triebwerken ausrüstet und damit den alten Betriebskostenvorteil gegenüber den kleineren Zweistrahlern wieder herstellt, will Emirates als größter A380-Kunde weitere Exemplare des weltgrößten Verkehrsflugzeugs kaufen.
John Leahy, Verkaufschef des europäischen Herstellers, jedenfalls verbreitet nach wie vor Zuversicht: In den kommenden 20 Jahren werde sich die Zahl der „Mega-Citys“, nach Airbus-Definition Städte mit mehr als 10.000 täglichen Passagieren auf Langstreckenflügen, von heute 47 auf dann 91 nahezu verdoppeln. Und das, so Leahys nachvollziehbares Argument, schaffe den Bedarf für Flugzeuge wie die A380. Allerdings hält Randy Tinseth, Vice President Marketing bei Boeing Commercial Airplanes, mit ebenso schlüssigen Argumenten dagegen: In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der angeflogenen Ziele beispielsweise in Tokio Haneda und Narita oder in Seoul Incheon – also an Flughäfen exakt solcher Mega-Citys – zwischen 26 und 33 Prozent gewachsen, während gleichzeitig die Zahl der pro Flugzeug angebotenen Sitzplätze im zweistelligen Bereich zurückging. Der Markt verlange nach mehr Frequenzen statt nach größeren Flugzeugen, so seine Schlussfolgerung.
Dass der weitaus größte Teil des Langstrecken-Passagierverkehrs künftig von Twins abgewickelt werden wird, dürfte in der Tat unstrittig sein. Dennoch ist es für einen Abgesang auf die A380 noch zu früh. Immerhin wurde auch der „Jumbo“ erst mit der gründlich überarbeiteten Version 747-400 – mehr als 20 Jahre nach dem Jungfernflug des ersten Prototypen – der Verkaufsrenner, als der er heute in Erinnerung ist.
Widebody-Triebwerke seit den 1960er Jahren bis heute
