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Elektrische Flugzeuge: erst als Hybrid, dann als Vollstromer?
Elektro- und Hybridantriebe sollen die Luftfahrt revolutionieren – doch vorerst bleibt konventionelle Triebwerkstechnik bei großen Passagierflugzeugen unverzichtbar.
11.2018 | Autor: Denis Dilba
Autor:
Denis Dilba
studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journalistenschule und gründete das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz. Er schreibt über verschiedenste Themen aus Technik und Wissenschaft.

Hauptbahnhof München im Jahr 2037
Während im Untergeschoss im Fünf-Minuten-Takt die neuen ultraschnellen Regionalbahnen stoppen, bedienen Elektrohybrid-Jets von der Flugebene auf dem Dach aus Distanzen bis 1.000 Kilometer innerhalb Deutschlands und der Nachbarländer. Am Flughafen im Erdinger Moos gibt es nur noch Fernverbindungen zu europäischen und transkontinentalen Zielen. Science-Fiction oder ziemlich nah an der Realität?
„Damit öffnen wir die Tür zu einer neuen Ära der Luftfahrt“
Fliegen wird immer beliebter. Und dieser Trend wird nahezu allen Einschätzungen nach auch in den kommenden Jahrzehnten anhalten. Airbus geht beispielsweise in seinem Global Market Forecast 2018 davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren ein Bedarf von 37.390 neuen Flugzeugen besteht. Bis Ende 2037, so prognostiziert der europäische Luftfahrtriese, werde die weltweite Flotte von heute 21.453 auf mindestens 48.800 Maschinen anwachsen – und sich damit mehr als verdoppeln.
Bietet das rasante Wachstum auf der einen Seite beste Aussichten auf das Geschäft, ist es auf der anderen Seite eine enorme Herausforderung und Verpflichtung für die Branche: Ohne deutlich effizientere Technologien wird sich der Anteil der Luftfahrt am globalen CO2-Ausstoß von aktuell gut zwei Prozent bis Mitte dieses Jahrhunderts auf mehr als acht Prozent vervierfachen. Die Elektrifizierung von Flugzeugen ist eine der Antworten auf diese Entwicklung, sagt Dr. Frank Anton, Chef der Siemens eAircraft-Sparte.
Prototyp mit Hybridantrieb bereits in Bau
Der 62-jährige Physiker hat dabei allerdings nicht reine E-Flugzeuge im Sinn: Zusammen mit Partnern wie Airbus will er einen seriellen hybridelektrischen Antriebsstrang in ein 100-sitziges Regionalflugzeug einbauen und ein Testflugzeug abheben lassen. „E-Fan X“ heißt das Ganze, es ist das bisher größte Elektroprojekt für kommerzielle Flugzeuge. „Damit öffnen wir die Tür zu einer neuen Ära der Luftfahrt“, ist sich Anton sicher. In diesem „Toyota Prius der Lüfte“ soll eine mit Kerosin befeuerte Gasturbine im Rumpf einen elektrischen Generator antreiben und auf diese Weise Strom produzieren. Die Turbine kann durchgehend in ihrem optimalen Drehzahlbereich arbeiten, was Sprit spart. Der Generator-Strom treibt dann die Elektromotoren mit den Rotoren an. So lässt sich die benötigte Schubleistung auch auf mehrere kleine Elektroantriebe samt Propeller am Flügel oder Heck verteilen. Das wiederum setzt neue Formen im Flugzeugdesign voraus und soll eine bessere Aerodynamik ermöglichen.
Je nach Einsatzgebiet und Sicherheitsanforderungen bekäme ein solches Hybrid-Elektroflugzeug eine größere oder kleinere zusätzliche Batterie, sagt Siemens-Experte Anton. „Die Turbine und der Generator können beispielsweise so dimensioniert werden, dass sie gerade so viel Strom liefern, wie für den Reiseflug gebraucht wird. Während des energieintensiven Starts und Steigflugs sorgt dann elektrische Energie aus den Akkus für Extraschub.“ Mit einer nur etwas größeren Turbine könnten die auf Reiseflughöhe weitgehend entladenen Batterien auch während des Flugs wieder aufgeladen werden. Die Hybridtechnologie macht auch eine zusätzliche und elegante Lade-Variante möglich: Im Sinkflug kann der Luftstrom die Propeller und damit die Elektromotoren antreiben, die dann als Generatoren laufen und die Batterien füllen – ähnlich einem Hybridauto, das auf abschüssigen Strecken Bremsenergie rückgewinnt.
Weltweit erstmals vorgestellt wurde das serielle Hybrid-Konzept für Flugzeuge 2011. An dem umgebauten zweisitzigen Motorsegler „DA36 E-Star“ des österreichischen Herstellers Diamond Aircraft war Frank Anton bereits beteiligt. Mit dem E-Fan X soll nun genauer untersucht werden, welche Potenziale der Hybridantrieb bei größeren Flugzeugen hat. Deshalb wird in der vierstrahligen Test-Maschine vom Typ BAe 146 zu Beginn auch nur eines der vier Triebwerke durch einen zwei Megawatt starken Elektroantrieb ersetzt. Das reiche aus, um die Effizienz zu untersuchen, sagt Anton. Ein zweites Hybridtriebwerk soll nach erfolgreichem Test folgen. „Wir versprechen uns Treibstoffeinsparungen im signifikanten zweistelligen Prozentbereich und Rieseneffekte bei der Lärmminderung.“ Der passionierte Pilot und Fluglehrer geht davon aus, dass es um 2035 Flugzeuge gibt, die bis zu 100 Menschen hybridelektrisch über Distanzen von 500 bis 1.000 Kilometer transportieren können.
Boomende Branche: Weltweit wollen junge Start-Ups mit ihren E-Flugzeug-Prototypen zukünftig die Luftfahrt erobern.
20 Prozent und mehr Treibstoffeinsparung nötig
Ob sich bei Flugzeugen mit so einem Antrieb wirklich ein wirtschaftlich relevanter Vorteil zeigt, wird spannend zu beobachten sein, sagt Prof. Mirko Hornung. Als Vorstand Wissenschaft und Technik des Forschungsinstituts Bauhaus Luftfahrt in München beschäftigt er sich seit Jahren mit den Potenzialen von Hybridflugzeugen. Es sei ja nicht so, dass die Luftfahrtindustrie bisher tatenlos war, so Hornung: Die Branche investiere jedes Jahr Milliardenbeträge in die Entwicklung effizienterer Technologien. „Jede neue Flugzeuggeneration verbraucht im Schnitt 15 Prozent weniger Kerosin als die vorhergehende“, sagt der Forscher. „Hybridflugzeug-Konzepte müssen die Perspektive auf 20 oder besser noch mehr Prozent Einsparungen bieten.“ Von den ersten Einschätzungen zum Effizienzgewinn gingen nach Hornungs Erfahrung immer noch mal ein paar Prozentpunkte runter. Und da liegt die Gefahr: „Packen die Hybridflugzeuge 15 Prozent nicht, wird keine Airline sie kaufen.“ Der Bauhaus-Luftfahrt-Vorstand warnt jedenfalls vor zu viel Euphorie bei den Hybridflugzeugen: Elektromotoren, Batterien und die Gasturbine mit Generator bedeuten, dass man die benötigte Leistung dreimal verbaue – und das mache solche Flugzeuge schwerer. „Kann ich diese Gewichts-Nachteile durch die aerodynamischen Vorteile von verteilten Elektroantrieben wirklich kompensieren? Dazu gibt es noch so gut wie keine belastbaren Aussagen“, so Hornung. Ein Projekt wie der E-Fan X, das die grundsätzlichen Probleme von Hybridantrieben offenlegt und mehr Gewissheit in die Diskussion bringt, sei daher der richtige Schritt.
Hybridjet für Regionalstrecken schon 2022?
Für Zunum Aero hingegen sind alle Fragen offenbar schon weitgehend beantwortet: Bereits 2022 will das US-Start-up aus Kirkland, einem Vorort von Seattle, seinen knapp 16 Meter langen Hybridjet für zwölf Passagiere am Markt haben. Die kleine Maschine soll mit zwei 500-Kilowatt-E-Motoren Tempo 550 erreichen und 1.130 Kilometer weit kommen.
Zunum geht durch Spriteinsparungen und geringere Wartungskosten der einfacher gebauten Elektroantriebe von 40 bis 80 Prozent weniger Betriebskosten und 75 Prozent weniger Lärm aus als bei herkömmlichen Flugzeugen. „So können wir das Nachtflugverbot umgehen, was den Betrieb noch wirtschaftlicher macht“, sagt Zunums Marketing-Chefin Sandi Adam. In dem enormen Kostenvorteil liege die große Chance des Start-ups. „In den USA fliegen auf Regionalstrecken noch viele Flugzeuge mit vollkommen ineffizienter Technik aus den 1960er Jahren“, sagt Adam. Die alten Flieger verbrennen bares Geld, die Airlines stünden einem Austausch ihrer Flotten daher aufgeschlossen gegenüber. Tatsächlich hat die in Kalifornien ansässige Chartergesellschaft JetSuite Ende Mai angekündigt, Zunum bis zu 100 Exemplare des kleinen Hybrid-Fliegers abzunehmen. In vielen anderen Ländern sieht die Start-up-Managerin Adam ebenfalls gute Verkaufschancen. Sie schätzt das Gesamtvolumen des weltweiten Regionalflugzeugmarktes auf eine Billion US-Dollar.
Spätestens diese Zahl hat wohl auch Boeings Risikokapital-Abteilung Horizon X überzeugt. Zusammen mit Jet Blue Technology Ventures stieg der Luftfahrtkonzern vor knapp einem Jahr in das Start-up ein. Über die investierte Summe herrscht allerdings genauso Stillschweigen wie über die verwendete Batterietechnologie. Vor allem Letzteres lässt Experten wie Hornung daran zweifeln, ob die Version, die in vier Jahren abheben soll, mehr sein kann als ein allererster Prototyp. Zunums Chef Ashish Kumar ist sehr optimistisch und sich darüber hinaus auch sicher, dass bei den Akkus künftig noch große Fortschritte zu erwarten sind. Er gehe davon aus, dass sein Hybridjet bis 2035 rund 2.400 Kilometer Reichweite haben wird. Vielleicht werde man dann sogar auf die Gasturbine und den Stromgenerator verzichten können, sagt Kumar. Dr. Jörg Sieber, Leiter Innovationsmanagement bei der MTU Aero Engines in München, ist da skeptisch: Die Speicher würden zwar schrittweise immer besser, aber ein echter Durchbruch in der Batterietechnologie sei einfach nicht zu erkennen.

MTU-Experten antworten: Fliegen wir bald nur noch elektrisch?
Dr. Jörg Sieber nimmt Stellung zu der Frage: Fliegen wir bald nur noch elektrisch? Dabei geht er auch auf das hybrid- elektrische Fliegen und die Weiterentwicklungsmöglichkeiten konventionellen Gasturbine ein. Zum Video
Wandel in der Branche
„Für Fluganwendungen müssen die Batterien mindestens fünf bis zehn Mal leistungsfähiger als heute sein“, sagt der MTU-Experte Sieber. Zusammen mit Partnern wie dem Bauhaus Luftfahrt und Airbus untersucht er aktuell die Vor- und Nachteile des elektrischen und hybrid-elektrischen Fliegens. „Wir wollen natürlich wissen, wann die Technologien marktreif sind, um dann eventuell entsprechende Antriebe anbieten zu können.“ Die Elektrifizierung biete zwar neue Freiheitsgrade im Flugzeugdesign, sagt Sieber, seiner Einschätzung nach bleibe der rein elektrische Antrieb aber bis auf weiteres nur eine Option für leichte Motorsegler, Sportflugzeuge oder Flugtaxis auf Kurzstrecken. An einen Elektro-Jet für 180 Passagiere mit einer Reichweite von 540 Kilometern, den das kalifornische Start-up Wright Electric der Billigfluglinie Easyjet für das Jahr 2027 versprochen hat, glaube er definitiv nicht, sagt der Experte. Selbst der Zeitplan des staatlichen norwegischen Flughafenbetreibers Avinor sei äußerst ambitioniert: Ab 2040 sollen dort alle Inlandsflüge rein elektrisch sein. Gleichwohl werden bereits in den kommenden Jahren auch erste E-Flugzeug-Prototypen abheben, so der MTU-Ingenieur.
„Ohne zusätzliche, weitreichende Investitionen in effizientere Triebwerke und Flugzeugsysteme sowie nachhaltige Treibstoffe können wir kein Klimaziel erreichen.“
Eine ganze Reihe von Start-ups hat das angekündigt. Etwa Eviation aus Israel, Ampaire und Joby Aviation aus den USA sowie Samad Aerospace aus Großbritannien. Wann ihre elektrischen Kleinflugzeuge abheben und wie weit sie dann kommen, werde sich zeigen, sagt Sieber. „Sicher ist aber jetzt schon, dass der Weg bis zu kommerziellen Anwendungen noch sehr lang ist – auch für das hybrid-elektrische Fliegen. Bei Maschinen ab einer Größe der Airbus A320 wird man auch im Jahr 2050 noch die klassische Gasturbine sehen“, sagt der Innovationsmanager. Allerdings eine deutlich effizientere: „Beim Getriebefan, den wir gerade auf den Markt gebracht haben, können wir durch Weiterentwicklung sicherlich noch einmal weitere 10 bis 15 Prozent Verbesserungen im Brennstoffverbrauch holen“, sagt Sieber. Weitere Effizienzsteigerungen bei den luftatmenden Triebwerken stellen neuartige Kreisprozesse in Aussicht, wie etwa der sogenannte Composite-Cycle. Dieses zukunftsweisende Konzept arbeitet mit Kolbenmaschinen und ermöglicht Spitzendruckverhältnisse von über 300 im Vergleich zu nur etwa 60 bei modernsten Turbofan-Triebwerken. Die Folge: 15 Prozent weniger Kraftstoffverbrauch und zehn Prozent weniger NOx-Emissionen.
In der Branche sei allen klar, dass sich die Luftfahrt in den kommenden Jahrzehnten durch die zunehmende Elektrifizierung wandeln wird, sagt Sieber. „Genau deshalb beobachten wir die Entwicklungen auch genau und stellen uns darauf ein.“ Einen Heilsbringer, der quasi über Nacht die Herausforderungen der Luftfahrt löst, dürfe man aber nicht erwarten. „Ohne zusätzliche, weitreichende Investitionen in effizientere Triebwerke und Flugzeugsysteme sowie nachhaltige Treibstoffe“, sagt Sieber, „können wir kein Klimaziel erreichen.“